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Experteninterview mit Dr. Ralf Utermöhlen

Starke Nachhaltigkeit lässt sich mit wirtschaftlicher Prosperität verknüpfen

Dr. Ralf Utermöhlen ist einer von Deutschlands führenden Nachhaltigkeitsvisionären für Geschäftsmodelle. Er ist Consultant und Unternehmer (Geschäftsführer der AGIMUS GmbH, einer Umweltgutachterorganisation und Beratungsgesellschaft). 2015 erschien sein Buch „Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte: Nachhaltigkeitsmanagement in der Praxis“. Wer Nachhaltigkeit in all seinen Dimensionen durchdringt, der muss, so Ralf Utermöhlen, „zwangsläufig auch Visionen für das eigene Geschäftsmodell entwickeln und sich selbstkritisch fragen: ‚Haben unsere Produkte und Dienstleistungen in einer gedacht nachhaltigen Welt überhaupt eine Existenzberechtigung?‘“

Was verstehen Sie unter unternehmerischer Nachhaltigkeit?
»» Unternehmerische Nachhaltigkeit verlangt die Ausrichtung der gesamten Unternehmensstrategie auf ein sich veränderndes, nachhaltiges Marktumfeld und auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Wer Nachhaltigkeit so versteht, muss zwangsläufig auch Visionen für das eigene Geschäftsmodell entwickeln und sich selbstkritisch fragen: „Haben unsere Produkte und Dienstleistungen in einer gedacht nachhaltigen Welt überhaupt eine Existenzberechtigung?“ Es geht also um so viel mehr als um Umweltverbesserung im Detail. Es geht um eine ökologische, ökonomische sowie soziale Ausrichtung. Nicht vergessen sollte man dabei das Thema Gerechtigkeit gegenüber Schwächeren und künftigen Generationen. Momentan denken viele Unternehmen da leider noch viel zu wenig selbstkritisch.

Wann sind Produkte und Dienstleistungen tatsächlich nachhaltig?
»» Da würde ich gern auf meine eigene umfassende Definition zurückgreifen, die sich in meinem Buch findet: „Das Idealprodukt einer nachhaltigen Gesellschaft besteht aus nur so viel Material wie erforderlich, enthält weder biodiversitätskritische Rohstoffe noch Konfliktmaterialien oder andere Komponenten fragwürdiger Herkunft, wird mit einem Minimalaufwand an Energie aus erneuerbaren Energiequellen sowie einem Minimalbedarf an Wasser aus wasserkritischen Gebieten hergestellt, verbraucht in der Nutzungsphase so wenig Energie wie machbar, ist langlebig und reparaturfreundlich, wird über die gesamte Herstellkette von fair bezahlten Mitarbeitern hergestellt, mit einem minimalen Transportaufwand in der Lieferkette zum Konsumenten gebracht, trägt alle erforderlichen Label und schnell erfassbare Kundeninformationen zur Nachhaltigkeit, wurde auf alle möglichen Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit geprüft, hat einen im Vergleich zu Alternativprodukten deutlich kleineren Carbon-Footprint, ist langlebig, kann repariert werden und ist zu 100 Prozent recyclingfähig oder vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen und auch mit einer Erfassungsstruktur flankiert, die das Recycling auch stattfinden lässt, und ist vollumfänglich wettbewerbsfähig.“

Das ist ein sehr hoher Anspruch.
»»Meine Definition beschreibt vor allem, wie vielschichtig das Problem ist. Tatsächlich gibt es schon einige wenige Produkte, die im Sinne meiner Definition nachhaltig sind. Dazu zählen Kaffee- und Bekleidungsprodukte von auf Nachhaltigkeit spezialisierten Herstellern. Im Vergleich zum Markt sind diese naturgemäß noch teurer als weniger nachhaltige Produkte.

Es wird also Zeit für einen Transformationsprozess. Wo sehen Sie dabei die größten Herausforderungen?
»» Das Risiko ist, wie immer bei Veränderungsprozessen, das richtige Timing. Das zeigt das Beispiel E-Mobilität. Insofern ist auch immer die Politik gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Menschen mitzunehmen. Dabei sollte man ihnen viel, aber nicht zu viel abverlangen. Schließlich müssen die Kunden bereit sein, die Produkte auch zu kaufen. Hier aber liegt das Problem: Einerseits ist jeder für die Energiewende, aber nur dann, wenn sich für ihn nichts ändert. Für eine wirklich nachhaltige Entwicklung müssen wir aber alle bereit sein, eigene Nachteile in Kauf zu nehmen.

Was empfehlen Sie kleineren Unternehmen, die sich jetzt ernsthaft
nachhaltiger ausrichten wollen?

»» Da die CO₂- beziehungsweise Klimabilanz als Indikator bereits sehr viel abbildet, würde ich zuerst einen ehrlichen CO₂-Fußabdruck ausweisen und schauen, wie man den reduzieren kann. So eine Klimabilanz des Unternehmens kostet – auch unter Expertenbegleitung – für einen Mittelständler nur wenige Tausend Euro. Darauf basierend würde ich eine Klimaneutralitätsstrategie aufbauen und besonders die Lieferkette genauer beleuchten: Was kaufen wir, wo kaufen wir, wo kommen unsere Rohstoffe her und wo gibt es dort Problematiken? Grundsätzlich empfehle ich Unternehmen, den drei folgenden Fragen nachzugehen:

  1. Was bedeutet die nachhaltige Entwicklung mit ihren Treibern und Prognosen für unser Geschäftsmodell?
  2. Welche Teile unserer Wertschöpfungsprozesse sind nicht nachhaltig im Sinne der Definition und was können wir schrittweise daran ändern?
  3. Was kann unser Unternehmen besonders gut und was kann man davon im Kontext der nachhaltigen Entwicklung nutzen?

Ausgehend von der Auseinandersetzung mit diesen Fragen und einer entsprechenden Analyse gilt es, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess anzuschieben, in dem klar festgehalten wird, was der Betrieb in den nächsten Jahren ändern will. Beispiele könnten sein: den Carbon-Foot-Print zu reduzieren, die Energieversorgung für die Produktionsstandorte in nachvollziehbaren Schritten regenerativ zu gestalten sowie die Einführung eines Lieferkettenmanagements, indem das Unternehmen von den Lieferanten Daten erhält, die neben dem Preis auch für die Beschaffungsentscheidung relevant sind. Insgesamt empfehle ich einen Aktionsplan mit klaren Zielsetzungen. Gleichzeitig sollte das Unternehmen bestrebt sein, den Umbau des Geschäftsmodells in Richtung Nachhaltigkeit zu gestalten. All das ist unbestritten sehr viel Arbeit und Investment. Aber ich verspreche, dieser Aufwand lohnt sich – auch für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.

Foto: © AGIMUS GmbH, Sascha Gramann