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Experteninterview mit Stefanie Grußendorf

Stefanie Grußendorf ist Teamleiterin für Bildungsangebote der IHK Lüneburg-Wolfsburg

Was verstehen Sie unter Personalentwicklung 4.0?

Die Arbeitswelt entwickelt sich rasant. Die Digitalisierung verändert Märkte und ganze Branchen. Der Wandel von analogen zu digitalen Unternehmensstrukturen und Prozessen führt zum Umdenken: Immer mehr Unternehmer passen ihre Geschäftsmodelle an und gehen neue (digitale) Wege. Damit ändern sich auch die Anforderungen an die Mitarbeitende. Denn die vielen technologischen Innovationen, mit denen wir in immer kürzeren Abständen konfrontiert werden, sorgen für ständig neue Arbeitsprozesse. Immer wieder müssen wir uns mit neuer Software, neuen Teamstrukturen, neuen Maschinen auseinandersetzen. Um den internen Transformationsprozess zu einer Arbeitswelt 4.0 erfolgreich zu gestalten, muss die Personalentwicklung in den Unternehmen zukünftig eine Schlüsselstellung einnehmen. Lebenslanges Lernen rückt in den Fokus und Personalentwicklung 4.0 nimmt die Rolle als Lernbegleiterin ein.

„Lebenslanges Lernen sollte eine Selbstverständlichkeit werden. Dafür braucht es Konzepte, die an den individuellen Bedarfen der Mitarbeitenden ausgerichtet sind.“

Stefanie Grußendorf

Bei den Weiterbildungsangeboten kommt es darauf an, die Vielfalt der Beschäftigten und deren Bedürfnisse stärker zu berücksichtigen, vor allem hinsichtlich Alter, Geschlecht, Lerntyp und Lerngeschichte. Zu wissen, welche Kompetenzen für die Erfüllung der Aufgaben noch entwickelt werden müssen, ist nicht länger nur Aufgabe der Führungskraft oder der Personalabteilung. Vielmehr geht es darum, eigenverantwortliches Lernen bei den Mitarbeitenden zu fördern. Dafür ist unter anderem die Entwicklung von flexibleren Formaten mit mehr Freiheiten und Wahlmöglichkeiten notwendig.

Auch digitale Kompetenzen gewinnen an Bedeutung. Die Digitalisierung beschleunigt Prozesse und Kommunikation, bietet dabei aber auch enorme Chancen. Um diese Potenziale ausschöpfen zu können, brauchen Unternehmen sämtlicher Wirtschaftszweige Mitarbeitende, die in dieser Hinsicht am Ball bleiben und Verbesserungen in den Abläufen anstoßen oder sogar selbstständig durchführen. Die Industrie- und Handelskammern haben dazu einen neuen Zertifikatslehrgang entwickelt, der Wissenslücken und Berührungsängste abbaut und Belegschaften fit macht für moderne Arbeitswelten. Der bundeseinheitliche IHK-Zertifikatslehrgang „Digitale Kompetenz im Job (IHK)“ vermittelt die dafür notwendigen Kompetenzen. Die Teilnehmenden bearbeiten übergreifende Fragestellungen, unabhängig von Branchen und Aufgabenfeldern – und erhalten das nötige Know-how für die digitalisierte Arbeitswelt. In insgesamt fünf Modulen mit rund 90 Lehrgangsstunden geht es um Datenschutz, Urheberrechte, die Recherche in Suchmaschinen und Datenbanken, die Vernetzung von Kommunikation und um technische Lösungen zur Teamarbeit im Netz.

Welchen Vorteil haben neue Lernformate – und haben die alten Seminarformen ausgedient?

Die klassischen Weiterbildungsformate wie Seminare und Lehrgänge werden auch zukünftig die Grundlage für die Wissensvermittlung bleiben. Das können wir auch bei dem Weiterbildungsangebot unserer IHK beobachten. Obwohl die Nachfrage nach Onlineformaten stetig zunimmt, werden gleichzeitig die Präsenzangebote nach wie vor gut nachgefragt. Dies wird zumindest mittelfristig auch so bleiben. Denn nicht jedes Thema ist für ein ­Webinar geeignet. Insbesondere wenn es um Führungsthemen, Kommunikation oder soziale Kompetenzen geht, hat sich eine Face-to-Face-Lernumgebung bewährt.

Allerdings geht das Gelernte oft schnell wieder verloren, wenn es nicht angewendet wird. Da wir heute in allen Berufen und Tätigkeiten mit Neuerungen konfrontiert werden, muss das Wissen gefestigt werden. Hier bietet die Digitalisierung gute Antworten. Denn durch Cloudlösungen und mobile Endgeräte bringt sie das Wissen direkt an den Arbeitsplatz.

Die Verzahnung von Lernen und Arbeiten, die Förderung von selbst gesteuertem Lernen über mobile Learning-Anwendungen, digitale Lernplattformen und Social Media gewinnen zunehmend an Bedeutung. Auch spielerische Elemente (Gamification) bringen insbesondere für jüngere Zielgruppen wie Auszubildende Abwechslung in den Lernalltag.

Der große Vorteil der neuen digitalen Formate ist, dass es sich um kleine Lerneinheiten handelt, die thematisch und zeitlich besser in den Arbeitsalltag integriert werden können. Dabei ist die Vielfalt der digitalen Formate groß: Lernvideos, Webinare, Onlineseminare, Onlinetutorien und Videokonferenzen. Auch die Nutzung von MOOCS (Massive Open Online ­Course) – internetbasierte Kurse, die sich an viele Teilnehmende richten und offen für alle sind – wird zunehmen.

Ein weiterer Trend im Kontext von ­Arbeit 4.0 geht Richtung Coaching und Mentoring. Auch hier werden sich aufgrund der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten und ­Arbeitsorten neben Face-to-Face-Einheiten Formen des E-Coachings und ­E-Mentorings herausbilden.

Wie können Unternehmen generell eine gute Lernkultur schaffen?

Eine gute Lernkultur ist Grundvoraussetzung, um Akzeptanz bei den Beschäftigten für die beschriebenen Lernformate zu generieren. Dabei ist es wichtig, dass die Personalentwicklung eine Vorreiterrolle übernimmt und selbst neue Tools zur eigenen Weiterbildung nutzt. Darüber hinaus kann sie für die Sensibilisierung und Qualifizierung bei den Führungskräften sorgen, damit diese ebenfalls eine Vorbildfunktion einnehmen und das Lernen ihrer Mitarbeitenden wertschätzen. Es ist Aufgabe der Führungskräfte, mit ihrer Haltung zu vermitteln, dass es beim Lernen vor allem um die Weiterentwicklung von Stärken geht und weniger um die Beseitigung von vermeintlichen „Defiziten“, um so für eine lernförderliche Atmosphäre zu sorgen.

Um den Beschäftigten zu signalisieren, wie wichtig dem Unternehmen das lebenslange Lernen und die persönliche Weiterentwicklung ist, kann die Geschäftsführung das Thema Lernen in das Unternehmensleitbild und die Führungsgrundsätze integrieren. Auf diese Weise erhält die Personalentwicklung noch einmal einen ganz anderen Stellenwert.

Welche praktischen Tipps können Sie KMUs für einen intelligenten Umgang mit den Herausforderungen der Personalentwicklung geben?

Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sich unsere Arbeitswelt verändert, ist eine langfristige Personalentwicklung schwieriger geworden. Somit wird es vor allem wichtiger für Unternehmen, dafür zu sorgen, dass sie insgesamt eine agile Organisation schaffen, die auf Veränderungen reagieren und innovativ sein kann. Dabei kann eine gute Lernkultur unterstützend wirken. Denn letztendlich kommt es zukünftig noch mehr darauf an, dass alle Beschäftigten bereit sind, sich weiterzuentwickeln, Neues zu lernen und offen für Veränderungen zu sein. Lebenslanges Lernen sollte eine Selbstverständlichkeit werden. Führungskräfte sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Mitarbeitenden in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen.

Es braucht Konzepte, die an den individuellen Bedarfen der Mitarbeitenden ausgerichtet sind. Die Personalentwicklung sollte daher möglichst viele unterschiedliche Ressourcen zum Lernen bereitstellen. Außerdem sollte sie die Beschäftigten dabei unterstützen, diese Tools konstruktiv zu nutzen, um Wissen transparent und schnell zu teilen und zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es nicht nur um digitale Tools, sondern auch um das Bereitstellen von Lernformaten wie kollegiale Fallberatungen, Workshops, Lerntandems oder Erfahrungsgruppen, um voneinander zu lernen. Gleichzeitig empfiehlt es sich, Lernbedarfe im Unternehmen zu ermitteln und ein Wissensmanagement über die Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen. Auf diese Weise wird die Grundlage geschaffen, um das Unternehmen zu einer lernenden Organisation zu machen und sich damit permanent den Anforderungen des Marktes stellen zu können.

Kontakt:

Stefanie Grußendorf
Telefon: 04131 742-159
stefanie.grussendorf@ihklw.de