Der Kunde von morgen
ZWISCHEN IDENTITÄTSSUCHERN UND VERANTWORTUNGSDELEGIERERN
Barcelona. Teatreneu-Comedy-Club. Ein Experiment: Der Eintritt ist kostenlos, allerdings wird den Besuchern via Gesichtserkennungstechnologie eine Gebühr pro Lacher in Rechnung gestellt. Bildschirme registrieren, wenn das Publikum lacht. Je besser sich also ein Gast amüsiert, desto mehr zahlt er am Ende. Die Comedians vorne sehen auf ihrem Display, wo sie noch direkter auf die Zuschauer eingehen sollten. Ist das noch pure Comedy oder schon ein sehr realer Blick in die Zukunft?
Heute schon sind viele Kunden besser informiert, kritischer, anspruchsvoller und weniger markentreu als früher. Und morgen? Fakt ist, die nächste Kundengeneration ist bereits mit Digitalität aufgewachsen. Darüber hinaus zeigen Studienergebnisse zum Einkaufserlebnis der Zukunft, dass die Mehrzahl der Kunden den Komfort liebt, vom Sofa aus zu bestellen, und grundsätzlich keine langen Wartezeiten mag. Gleichzeitig müssen grundsätzlich das Preis-Leistungs-Verhältnis wie die Beratung stimmen und Shopping vor Ort sollte echte Erlebnisse und Mehrwerte bieten. Zukünftig müssen beim Kunden also vor allem Wohlfühl- und Erlebnisfaktor stimmen.
„Wenn Unternehmen fit für die Zukunft sein wollen, sollten sie sich heute schon fragen: ,Wie kann ich meine Dienstleistungen und Services so gestalten, dass sie die Kundenwünsche erfüllen, also individuell und ituativ funktionieren?‘“ sagt Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky. Denn künftig wird von Unternehmen noch mehr Adaptivität gefragt sein, also die ausgeprägte Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse der Kunden. Dazu sollte man möglichst viel über seine Zielgruppe wissen. „Das Wesentliche, das verschwinden wird, ist die Masse, das Einheitsdenken, Massenprodukte. Diese Masse gab und gibt es nur so lange, wie die Technologie noch nicht so weit war, unser Grundbedürfnis nach Individualität zu stillen.“ Zukünftig könnte sich der Fokus auf Economy und Premium konzentrieren: Im Economy-Bereich entscheidet sich der Kunde rational und erwartet den besten Preis für die von ihm gewünschte Qualität. Dagegen will der Kunde, der im Premiumbereich unterwegs ist, sich und anderen zeigen, dass er besonders ist. Hier geht es um Identität. Die zukünftigen Kundensegmente lassen sich laut Jánszky oftmals nicht mehr nach den üblichen soziodemografischen Daten beschreiben, sondern anhand von konkreten Typen. Und die sind beeinflusst von Bedürfnissen, Vertrauen in Technologie oder Menschen, von der Bereitschaft zur Datenfreigabe und dem individuellen „Pro-Aktivitätslevel“, also dem Wunsch, die Initiative zu ergreifen. Dementsprechend macht Jánszky im Premium-Bereich unterschiedliche Typen von Identitätssuchern aus, während er im Economy-Bereich etwa Verantwortungsdelegierer identifiziert, vorsichtige Selbstsucher oder bequeme Nichtsucher. Auch das Zukunftsinstitut um Matthias Horx empfiehlt Unternehmen, seine Kunden und deren individuelle Lebensstile noch viel intensiver als bisher unter die Lupe zu nehmen. „Wer Kunden samt ihren Merkmalen und Bedürfnissen versteht, hat einen wichtigen Schritt zum Erfolg gemacht.“ Dazu verspricht das Institut mit seiner Methode „Lebensstile“ eine empirisch fundierte, zukunftsgerichtete Analyse. Der chinesische Alibaba-Konzern hat in Hongkong das weltweit erste Bekleidungsgeschäft mit integrierter KI eröffnet. Nachdem Kunden beim Betreten einen QR-Code gescannt haben, gleicht ein intelligenter Spiegel die ausgewählten Artikel mit anderen Produkten ab. Auch mit solchen, die der Kunde zuvor auf dem firmeneigenen Portal gekauft hat. Es scheint also in Zukunft darum zu gehen, die Reise des Kunden hin zum Produkt in Echtzeit zu personalisieren und zu optimieren. Auf Basis von selbstlernenden Algorithmen werden Marken künftig direkt testen können, was gut funktioniert und was nicht. „Personalisierung wird bald omnipräsent sein“, vermutet Liad Agmon, CEO von Dynamic Yield. Dabei wird es im Sinne eines „Predictive Marketing“ darum gehen, dass das Kundenverhalten noch voraussehbarer wird. Denn das Wissen, wann ein Kunde bereit für den Kauf ist, wird in Zukunft entscheidend für den Marketing- Erfolg sein. Voraussetzung dafür ist eine intelligente Zusammenführung der Daten aus verschiedenen Quellen, um Verkaufschancen und Zielgruppen zu identifizieren.
„PERSONALISIERUNG WIRD BALD OMNIPRÄSENT SEIN“
Grundsätzlich sollte auch der Wertewandel mitbedacht werden. Zukunftsexperte Sven Göth: „Die Leute gehen in einen Biomarkt und geben mehr Geld aus für Käse oder Eier, weil sie gesund leben wollen. Was wir als Premium empfinden, hat sich enorm verändert.“ Ebenso habe sich unsere Vorstellung von Nähe gewandelt. So gehe es nicht mehr unbedingt nur noch um die physische Nähe zum Kunden, sondern viel mehr um die Qualität der Interaktion zwischen ihm und dem Unternehmen, so Sven Göth. Die könne auch über digitale Kanäle funktionieren. Ein weiterer Wertewandel bezieht sich auf die Interpretation von Sicherheit. Dabei sei es weniger entscheidend, wie lange ein Unternehmen schon am Markt sei, sondern wie flexibel es auf Veränderungen reagieren kann. Gerade in Zeiten von Corona wird dieser Faktor deutlich. Sven Göth weist schließlich darauf hin, dass sich auch die Interpretation von „Vertrauen“ gewandelt habe – vom rein menschlichen Beziehungsstatus hin zu erfüllten Erwartungen an Unternehmen. Wer Kunden auch morgen noch gewinnen will, der sollte generell dafür sorgen, dass die gesamte Customer-Journey stimmt, sagt unser Interview-Experte Marco Hopp. „Die Kommunikations- und Vertriebswege müssen nahtlos ineinander übergehen, um den Kunden auf der Reise vom ersten Interesse bis zum Vertragsabschluss nicht zu verlieren.“ Unternehmen müssen also selbst durchgehend authentisch wirken, wenn sie von ihren Kunden geschätzt werden wollen. Das heißt auch, dass Firmenphilosophie und Personal passen müssen. Das macht die Augenhöhe zum Kunden wahrscheinlicher. „Für Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, führt kein Weg daran vorbei, die Kundeninteressen ehrlich in den Unternehmenszielen zu verankern“, sagt Eric Eller, Consultant bei elaboratum. „Es gilt also Entscheidungssituationen so zu gestalten, dass Kunden- und Unternehmensinteresse in Einklang stehen.“ Alle Zeichen weisen offensichtlich auf grundlegende Veränderungen hin. Das eingangs beschriebene Experiment im Teatreneu-Comedy-Club startete übrigens 2014. Inzwischen ist das Theater wieder zum gängigen Ticketmodell zurückgekehrt.
Quellen: Tim Cole: Erfolgsfaktor Künstliche Intelligenz; Sven Gábor Jánszky: Trendanalyse: Kundensegmente der Zukunft; Sven Göth: Kompetenzen für das 21. Jahrhundert;
Matthias Horx: Trendstudie und Workbook „Lebensstile“; digitalbusiness-cloud.de; handel4punkt0.de; it4retailers.de