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Das Gehirn als Sparringspartner

Wer sein Mindset ändert, verändert sein Leben

© feelimage/Matern

Dr. Marcus Täuber will wissenschaftliche Erkenntnisse in praxistaugliche Konzepte überführen. Aus diesem Grund verließ der Neurobiologe die Forschung und ging in die Wirtschaft. Später gründete er das Institut für mentale Erfolgsstrategien. Als Coach, Autor und Redner beschäftigt sich der gebürtige Wiener mit Motivation und Veränderungsprozessen im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Dabei übersetzt er Erkenntnisse aus der Hirnforschung in umfassende Strategien und konkrete Tipps für Unternehmen. Seit diesem Februar liegt sein aktuellstes Buch vor: „Falsch gedacht! Wie Gedanken uns in die Irre führen – und wir mit mentaler Intelligenz zu wahrer Stärke gelangen“.

Was verstehen Sie unter mentaler Intelligenz?

Einfach ausgedrückt heißt das, unser Denken zu lenken. Wir können mit dem Stirnhirn unsere Aufmerksamkeit willentlich steuern und deshalb auch selbst beeinflussen, welche Gedanken wir fokussieren. Und so kann ich unproduktive Gedanken voneinander trennen und damit die für mich weniger nützlichen ausblenden. Stattdessen kann ich mich auf jene Gedanken konzentrieren, die mich voranbringen, indem ich diese gewünschten Denkprozesse wiederhole. Auf diese Weise forme ich mit der Zeit mein Gehirn neu. Die Wissenschaft nennt das neuronale Plastizität. Konzentriert wiederholte Vorstellungen schaffen neue Nervennetze und Strukturen in unserem Gehirn. Und damit manifestieren sich unsere nützlichen Gedanken.

Wir dürfen unserem Gehirn also nicht blind vertrauen?

Rein biologisch betrachtet ist das Gehirn in erster Linie eine Maschine, die dafür gemacht ist, uns und unsere Art am Leben zu erhalten. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen oder zumindest so zu tun. Wir lernen anhand von Ereignissen Regelmäßigkeit zu erkennen und leiten daraus Regeln ab. Wenn jemand ‚1, 3, 5, 7‘ sagt, dann kennen wir die nächste Zahl. Wenn ich lauter schwarzen Raben begegne, dann schließe ich daraus, dass alle Raben schwarz sind. So mache wir uns die Welt vorhersehbar. Das funktioniert so lange, bis das Unerwartete eintritt. Das Gehirn ist evolutionär in einer Zeit entstanden, in der Veränderungen graduell sehr langsam und in kleinen Schritten linear abgelaufen sind. Heute verändert sich alles rasend schnell. Das betrifft die Digitalisierung und globale Prozesse ebenso wie unser Wissen oder sich schnell verändernde Märkte. Heute trifft also das lineare Denken unseres Steinzeit-Gehirns auf die exponentielle Veränderung unserer Jetztzeit.

Sie sagen aber, dass wir unser Gehirn trainieren können …

Genau. Wir kommen mit einem unfertigen Gehirn auf die Welt und können uns an jede Art von Umwelt und Kultur anpassen. Ganz gleich, ob wir im Dschungel, auf dem Land oder in einer Metropole leben. Unser Gehirn verändert dementsprechend seine Form und Struktur. Diese Veränderbarkeit bleibt uns zeitlebens erhalten. Allerdings geht unser Gehirn gerne den Weg des geringsten Widerstands. Deshalb scheint es uns oft angenehmer, sich zurückzulehnen und sich auf das Bauchgefühl zu verlassen. Ich empfehle aber einen Dialog zwischen Intuition und Verstand. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit muss ich meine bisherigen Erfahrungen permanent hinterfragen. Weil die alten Strategien nicht dauerhaft funktionieren, kann mein Erfolg von gestern mein Problem von morgen werden. Leider arbeiten wir noch viel zu häufig mit den Lösungen der Vergangenheit, obwohl sich die Welt enorm verändert hat.

Welche Strategie können wir dagegensetzen?

Erst mal durchatmen und seine Gedanken bewusst wahrnehmen. Dann kann man sich folgende Fragen stellen: Denke ich gerade faul, denke ich gerade egoistisch oder denke ich gerade vergangenheitsfixiert? Und ist außerdem das, was da in meinem Kopf vorgeht, möglicherweise ein Muster aus meiner Kindheit? Denn unser Gehirn folgt gerne der Logik der alten Muster. Nach dem Prinzip ‚Die gibt es schon lange, die müssen für das Überleben wichtiger sein als die neuen‘. Sobald ich das verinnerlicht habe, kann ich konkret Einfluss auf meine Gedankenwelt nehmen. Dazu sollte ich mich auf produktive Gedanken fokussieren, die mich tatsächlich weiterbringen. Und indem ich diese Gedanken wiederhole, festigen sie sich nach ein paar Monaten. Wir sollten also bewusst agieren und nicht nach dem typischen Reiz-Reaktionsmuster verfahren. So kann ich mich in meinem Verhalten und Gewohnheiten Schritt für Schritt verändern. Besonders bei wichtigen Entscheidungen sollte ich mein Stirnhirn als Hebel ganz bewusst einschalten, damit sich die für mich förderlichen Gedanken allmählich tiefer im Gehirn verankern. Ich plädiere dafür, dass wir eine freundschaftliche Beziehung mit unseren Stärken und Schwächen, mit Kopf und Bauch entwickeln. Wir haben mehr Einfluss, als wir glauben. Denn wir können das Gehirn zu unserem Verbündeten machen und unser Mindset verändern. Und damit unser Leben.

Wo können wir ansetzen, wenn wir die Kraft der Motivation besser nutzen wollen?

Ich habe einmal in einem Meeting-Raum einer international tätigen Firma Aufsteller gesehen, auf denen die Unternehmensvision festgehalten war. Sie lautete: 100 Millionen Dollar! Als ich den Chef fragte, wie er darauf käme, dass diese Vision seine Mitarbeiter motivieren könnte, sagte er, dass diese schließlich dafür bezahlt würden, gut zu arbeiten. Außerdem begeisterte ihn die Devise ‚Wenn du kein Feuer bei deinen Mitarbeitern entzünden kannst, dann mach Ihnen Feuer unter dem Hintern‘. Mit derartigen Ansätzen wird man heute natürlich keinen Erfolg mehr haben. Unser Gehirn fragt immer ganz automatisch: ‚Was bringt mir das?‘ Wir sollten uns also im ersten Schritt bewusst machen, was uns persönlich am meisten antreibt. Ich gehe davon aus, dass es dabei in der Regel um sechs Motive geht: Wir streben 1. nach Sicherheit, 2. nach Abwechslung, 3. nach Wachstum, 4. nach Bedeutsamkeit, 5. nach sozialem Beitrag und 6. nach Gemeinschaft. Diese sechs Motive tragen wir alle in uns, in unterschiedlicher Ausprägung und Rangordnung. Wenn ich weiß, was mich motiviert, kann ich darauf aufbauen. Und wenn meine Führungskraft darüber hinaus noch erkennt, wie ich ticke, dann kann sie genau dort andocken. Es bringt dagegen überhaupt nichts, wenn man ein universelles Konzept über alle Mitarbeiter gießt.

Worauf sollten Unternehmen besonders achten, damit ihre Mitarbeiter motiviert sind?

Sie sollten in erster Linie darauf achten, dass die Jobs und Aufgaben zu den Menschen passen, die sie beschäftigen. Das beinhaltet auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Und als Personaler stelle ich keine Person nur aufgrund ihrer Fähigkeiten im klassischen Sinne ein. Ich entscheide mich nur dann für einen Bewerber, wenn dessen Mindset gut zum Job oder Team passt. Ein Vertriebsleiter braucht nun einmal ein anderes Mindset als der Empfang. Damit ein Arbeitgeber den richtigen Bewerber erkennt, sollte er sich im Vorfeld deshalb sehr gut überlegen, welches Mindset einen bestimmten Job am besten umschreibt. Als Orientierung dient die richtige Mischung aus den oben genannten Motiven, also beispielsweise Sicherheit und Wachstum. Anschließend geht es um die Frage: Was müsste für den ausgeschriebenen Job auf Platz eins, zwei und drei stehen?

Sie sagen, unser Gehirn sei ein notorischer Lügner …

Diese Aussage lässt sich evolutionär begründen. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, um die Welt zu erkennen. Das belegen wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf Computersimulationen basieren. Das Gehirn achtet eher auf unser Überleben als darauf, wie die Welt tatsächlich ist. Denn es malt unser Weltbild anhand dessen, was wir bisher erlebt haben. Wir sehen die Welt also nicht so, wie sie ist, sondern exakt so, wie wir sind. Sobald das, was wir wahrnehmen, mit dem übereinstimmt, was wir kennen, macht es klick – und wir freuen uns. Stimmt das nicht überein, macht es klack und wir finden das falsch. So verlieren wir mit der Zeit immer mehr die Offenheit für Neues. Aber dem kann man entgegensteuern.

Unsere Gehirne im 21. Jahrhundert sind also tatsächlich noch auf dem Stand eines Neandertalers?

Die schlechte Nachricht ist: Die Evolution misst sich in sehr, sehr langsamen Zeiteinheiten von Jahrtausenden und Jahrmillionen. Aber die gute Nachricht ist: Wir kommen mit einem unfertigen Gehirn auf die Welt und können uns an jede Umwelt und Kultur anpassen. Ganz gleich, ob wir im Dschungel, auf dem Land oder in einer Metropole leben. Entsprechend ändert auch unser Gehirn seine Form und Struktur. Diese Flexibilität bleibt uns zeitlebens erhalten. Sie ist in der Kindheit am stärksten ausgeprägt. Wir können aber bis ins achte Lebensjahrzehnt hinein in unserem Lernzentrum, dem Hippocampus, neue Nervenzellen formen und bilden. Was wir in der Kindheit rasch aufnehmen, geht schneller wieder verloren, wenn wir es nicht wirklich brauchen. Im Alter lernen wir langsamer. Dafür können wir das neue Wissen aber besser in vorhandenes integrieren und vernetzter denken.

Sie sagen: Selbstliebe gieße Öl ins Feuer. Was bedeutet das?

Wir kommen im Prinzip als primäre Narzissten auf die Welt. Als Baby und Kleinkind dreht sich die ganze Welt um uns. Wir schreien und etwas muss geschehen, Bedürfnisse müssen sofort befriedigt werden. Ab den 1980ern folgte man einer Pädagogik, wonach die Kinder für alles Mögliche gelobt werden sollte. Gleichzeitig haben wir somit sehr viele Narzissen und Perfektionisten herangezogen. Perfektionismus heißt nicht zwangsläufig, etwas mit Freude zu tun. Es bedeutet in der Regel, zwanghaft auf Anerkennung und Lob zu hoffen und Kritik zu umgehen. Auf diese Weise verstricken sich diese Menschen immer weiter in eine krankhafte Form der Ich-Haftigkeit. Und weil Selbstliebe-Ratgeber gerade Hochkonjunktur haben, wird das Ganze noch mehr genährt. Wenn ich aber alles tue, um mein Ego zu nähren, dann will diese Raupe Nimmersatt immer mehr. Ich plädiere dagegen für ein realistisches Selbstbild seiner eigenen Stärken und Schwächen. Und ich bin dafür, Freundschaft mit sich zu schließen.

Titelfoto: Gerd Altmann auf Pixabay

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