
Was ist wirklich essenziell für die Entwicklung der Destination?
Eine Einschätzung über die Zukunft Wolfsburgs von Berater Thorsten Kausch
Als Experte für Stadtentwicklung und -vermarktung hat Thorsten Kausch bereits als Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH sowie als Politiker an der Seite von Hamburgs Ersten Bürgermeistern immer wieder Potenziale für eine attraktive Entwicklung sowie Positionierung erkannt und entsprechende Maßnahmen umgesetzt. Seit 2016 berät er als geschäftsführender Gesellschafter der Stadtmanufaktur GmbH gemeinsam mit seinem Teampartner in ganz Deutschland sowie in Österreich und der Schweiz. Auch die Stadt Wolfsburg wird von ihm bezüglich der Ausarbeitung einer Standortstrategie, insbesondere im Bereich Tourismuswirtschaft unterstützt. Schließlich ist die strategische Ausrichtung der Stadt ein wesentlicher Aspekt der Wirtschaftsagenda. Welche Faktoren für ein zukunftsfähiges Konzept relevant sind und wie er die Entwicklung der Stadt sieht, berichtet er im Interview.
Herr Kausch, wie schätzen Sie die Attraktivität Wolfsburgs momentan ein?
» Wolfsburg steht vor einer Herausforderung, was die Positionierung betrifft. Die Innenstadt ist ein wichtiger Faktor, weil sie viel über eine Stadt aussagt. Nach dem Motto: Wenn das Herz einer Stadt nicht schlägt, haben auch die Kapillare, also die Ortsteile, ein Problem und die interne sowie externe Wahrnehmung wird beeinträchtigt. Diese Themen werden jetzt auf lange Sicht angegangen, was ganz wichtig ist.
Gleichzeitig sehe ich viel Potenzial: Es ist eine sehr spannende Stadt, die gut gelegen viele relevante Themen mit globalen Trends verbinden kann. Vor allem die Mobilität der Zukunft steht dabei im Zentrum. Die damit einhergehende Innovationskraft ermöglicht viel Dynamik, die es für die Stadtentwicklung zu nutzen gilt. Damit können Kräfte für die Erhöhung der Lebensqualität der Menschen freigesetzt werden. Dies bietet für Wolfsburg die Chance, die vielen Menschen, die zum Arbeiten in die Stadt kommen, auch nachhaltig zu binden.
Wie ist die Stärkung der Wirtschaftlichkeit durch Flächenerweiterung und Investitionen mit einer Erhöhung der Lebensqualität für die Menschen vereinbar?
» Der Anteil der Menschen, die einen Bezug zu Volkswagen und der Automobilbranche haben, ist in Wolfsburg vergleichsweise hoch, was eine gewisse Akzeptanz für die wirtschaftliche Flächennutzung mit sich bringt. Die Voraussetzungen der Stadt für eine wirtschaftlich tragfähige Entwicklung sind daher gegeben. Jedoch ist ein attraktiver Standort von vielen Faktoren abhängig, die über das Gewerbe und die Unternehmen hinausgehen. Gerade die weichen Faktoren wie zum Beispiel die soziale oder kulturelle Infrastruktur sind wichtig, um die verschiedenen Lebensmodelle bedienen zu können. Beide Bereiche beeinflussen sich wechselseitig: Auf der einen Seite brauche ich eine starke Wirtschaftskraft, weil sie die Weiterentwicklung der Standortfaktoren finanziert, und gleichzeitig brauche ich die vermeintlich soften Faktoren, um überhaupt erst attraktiv für Investoren und Arbeitnehmer zu sein.
Im April wurde ein Workshop mit Hoteliers und Gastronomen initiiert: Was stand auf der Agenda?
» Die zentrale Frage war, wie sich die Destination mithilfe von Tagungen und Fachveranstaltungen besser profilieren kann, damit Hoteliers von steigenden Übernachtungszahlen, die Gastronomiebetriebe, weitere Locations sowie der Einzelhandel von mehr Besuchern profitieren. Das ist ein spannendes Handlungsfeld, weil mit einer klaren und guten Idee relativ schnell spürbare Erfolge erzielt werden können.
Die Stadt kann davon profitieren, wenn sich intensiv mit dem Gedanken der „15 Minuten MICE – steht für Meeting, Incentive, Convention und Events – City“ beschäftigt wird. Das bedeutet, sich fol-gende Fragen zu stellen: Wie können alle Punkte meiner Tagung oder meines Kongresses in 15 Minuten integriert werden? Das betrifft die Wege vom Hotel zur Tagungslocation, zum Rahmenprogramm und wieder zurück zum Hotel. Das alles in kurzer Zeit ist natürlich ein attraktives Leistungsversprechen für Veranstalter und Teilnehmer zugleich. In Wolfsburg sind dafür gute Rahmenbedingungen gegeben: Große und kleinere Locations, Hotels, gastronomische Angebote, eine gute Anbindung. Tagungen und Kongresse können neu gedacht und erlebbar werden, wenn die Stadt mit ihren verschiedenen Locations als Tagungsort gedacht und gelebt wird und passende Angebote entwickelt werden.
Maßnahmen wie Family-Kampagnen und ein Convention Bureau sind in anderen Städten bereits etabliert und auch in Wolfsburg geplant – wie genau sehen diese Konzepte aus?
» Family-and-Friends-Kampagnen integrieren Angebote und Aktivitäten für die ganze Familie und schaffen bleibende gemeinsame Erinnerungen. Ein Convention Bureau gilt als organisatorischer Kern für Tagungen und Kongresse und ist die Anlaufstelle für Business Events. Mit diesem existiert ein Partner, der einen Gesamtüberblick über Dienstleistungen hat und ein Event von der Übernachtungsmöglichkeit über sportliche Angebote, gastronomische und medizinische Versorgung und allen Aspekten, die dazugehören, die für einen externen Veranstalter nicht erkennbar sind, planen kann. So können wirtschaftspolitische Impulse gesetzt werden, beispielsweise im prädestinierten Bereich Automotive: Für einen Zulieferer oder Innovationstreiber, der ein Event mit seinen Kunden plant, wäre es naheliegend, dieses in Wolfsburg zu veranstalten. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen, um mehr Chancen für Entwicklung in diesem Segment voranzutreiben. Daraus ergeben sich Schnittstellen mit anderen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und weiteren, die neue wirtschaftliche Effekte generieren.
Gibt es aus Ihrer Erfahrung eine Vorreiter-Stadt, die es geschafft hat, ihre Möglichkeiten als Mobilitätsstandort zu nutzen und zu erweitern?
» Ich denke da an Stuttgart, dort hat sich Porsche stark eingebracht und gemeinsam mit der Stadt die Lebensraumentwicklung für Fachkräfte vorangetrieben, um den Standort für sie interessant zu machen. An diesem Beispiel sehen wir, dass es sich gelohnt hat: Die Stadt hat viele Impulse aufgegriffen, die sie vorher nie genutzt hätte, und sich dadurch deutlich attraktiver entwickelt.
Welche Aspekte sind besonders wichtig für ein umsetzbares Entwicklungskonzept?
» Es gibt oft gute Konzepte, die daran scheitern, dass keine klare Umsetzungsstrategie mit den maßgeschneiderten Prozessen vorhanden ist. Und das Schlimmste, was man machen kann, ist Ankündigungsmarketing zu betreiben und daraus resultierende Erwartungen zu erzeugen, die nie erfüllt werden. Dies führt zu nachhaltigen Enttäuschungen.
Es ist wichtig, die richtigen Partner mit einzubeziehen, konkrete Maßnahmen und Ziele zu formulieren, offen für Anregungen zu sein, Rahmenbedingungen fürs Ausprobieren zu schaffen. Das hat auch mit dem Mindset der Führungspersonen zu tun – gibt es Raum zum Scheitern, gibt es Mut zur Veränderung? Können andere Akteure mitgerissen werden und die Idee zu ihrer eigenen machen? Der Mindset-Shift muss von führenden Ebenen vorgelebt werden, um Sicherheit zu vermitteln. In Wolfsburg sehe ich diese Gegebenheiten und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Dezernenten in Verbindung mit dem Oberbürgermeister. Die Akteure sind sich im Klaren darüber, wo sie stehen und was sie gemeinsam erreichen können.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Stadt ein?
» Ich hoffe, dass sich die Automobilbranche fängt, damit der damit einhergehende Druck für die Stadt abnimmt. Aber aus dem Bewusstsein heraus, jetzt liefern zu müssen, kann auch eine Dynamik resultieren, die dem Standort guttut. Häufig braucht es Krisen, um Veränderungen anzuschieben. Ausgehend von dem Wissen, welches Potenzial Wolfsburg hat, steckt in dieser Situation auch eine große Chance. Mobilität, die geografische Lage, die Konnektivität der Stadt, die gute Anbindung und mehr – all das sind günstige Voraussetzungen, die vielversprechend für die Zukunft der Stadt sind. +
© Titelbild: Flo Gassner