Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt
Experteninterview über agiles Arbeiten mit Alexander Badini
Alexander Badini ist Head of Agile Consulting bei der P3 group GmbH, einem Beratungsunternehmen, das mit seiner Tochterfirma P3 DS auch Software und Apps entwickelt. P3 ist für zahlreiche Unternehmen – darunter Volkswagen – in den Feldern Technologieberatung, Coaching und Training von agilen Methoden aktiv. Der Organisationsentwickler Alexander Badini bezeichnet sich als einen Wanderer zwischen den Welten. Sein Vater ist Italiener, seine Mutter Österreicherin, er ist in Deutschland aufgewachsen und trägt Japan im Herzen, wie er sagt. Als Experte für agiles Arbeiten motivieren ihn die jeweils anderen Lebensstile und Perspektiven. Auf Unternehmen sieht er einen gewaltigen Paradigmenwechsel zukommen.
Was zeichnet agiles Arbeiten aus?
» Bei Personen wie bei Organisationen zielt der agile Ansatz auf eine hohe Anpassungsfähigkeit an ein sich immer stärker und rasanter veränderndes, komplexes Umfeld. Agil zu sein ist per se noch kein Erfolgsfaktor, kann aber ein guter Vektor sein. Auf Organisationsebene gilt es, ein Unternehmen so aufzustellen, dass es flexibel und reaktionsfähig bleibt. Auf persönlicher Ebene geht es unter anderem darum, ein Wertesystem zu entwickeln, das es der Person ermöglicht, zwischen wichtig und dringend zu unterscheiden. Das Ziel ist ein Kompass, mit dem Mitarbeiter die Anforderungen, die auf sie einprasseln, entsprechend klarer Prioritäten einsortieren können und wissen, was für sie wie für ihr Umfeld den größten Wert bringt. Diese Orientierung lässt sich auch auf agile Teams und Unternehmen übertragen. Es ist irrelevant, wie viele Produkte in welcher Zeit produziert werden – und damit bloßer „Output“ generiert wird. Relevant ist dagegen der „Outcome“, also hochwertige Produkte, die eine Zielgruppe tatsächlich braucht. Allerdings hat sich die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu sehr darauf fixiert, alles über Arbeitsstunden, Zeitaufwand und Leistungsnachweise zu bewerten. Wer dagegen agiler und zukunftsfähiger vorankommen will, sollte sich von diesem traditionellen Ansatz lösen. Stattdessen muss ein Unternehmen analysieren, was wertvolle Ziele sind, und sollte daran die Arbeit und die Teams ausrichten. Neben schlanken Prozessen und Wertorientierung geht es vor allem um schnelles Lernen. Agilität bedeutet, sich nicht zu verzetteln, sondern wertvolle Dinge nacheinander zu erledigen (und nicht parallel) und kontinuierlich zu lernen und besser zu werden. Am besten teilt man Aufgaben in kleine, sodass man die Ergebnisse möglichst schnell überprüfen kann. Auf den Punkt gebracht: so wertorientiert wie möglich, so klein wie möglich, so feedbackintensiv wie möglich!
Welche Hürden müssen überwunden werden, damit Unternehmen agiler werden?
» Ich empfehle, sich zuerst auf die eben genannte Bereiche zu konzentrieren. Dabei spielt die Wertediskussion die wichtigste Rolle. Was ist der Zweck, die Intention, was der Sinn der Arbeit? Gleichzeitig gewinnt Kreativität an Bedeutung. Wir befinden uns, laut Daniel H. Pink, an der Schwelle zu einem Zeitalter, in dem Ökonomie und wirtschaftliches Wachstum primär auf Wissen und Kreativität basieren. Die Sinnhaftigkeit von Arbeit und die Motivation, Meisterschaft in den Dingen zu erlangen: Das ist ein hoher Wert. Dazu müssen Mitarbeiter die Chance erhalten, dort eingesetzt zu werden, wo sie ihre größten Fähigkeiten am besten entwickeln können. Und Teams sollten bereichsübergreifend zusammen arbeiten, um wirklich wertvollen Outcome zu generieren. Es geht also nicht um die, die am lautesten schreien, sondern um exakt die Idee, die am besten auf das Ziel „den größten Wert für Unternehmen und Kunden“ einzahlt. Darüber hinaus muss ein Unternehmen stets beachten, wie es zukünftige Risiken minimieren und zukünftige Chancen maximieren kann. Mit dem Blick nach vorn schon heute das Richtige tun: Das ist eine große Herausforderung.
Merkmale agiler Arbeit: so wertorientiert wie möglich, so klein wie möglich, so feedbackintensiv wie möglich!
Alexander Badini
Sie sagen, ein weitere Hürde birgt die Definition von
Auslastung in sich. Was ist gemeint?
» Auslastung spielt gerade unter New-Work- Aspekten eine wichtige Rolle. Ist ein Team wirklich nur dann gut, wenn es zu 100 Prozent ausgelastet ist? Ich denke nicht. Zwei Beispiele: Ist ein Server hundertprozentig ausgelastet, so steigt das Sicherheitsrisiko enorm. Und eine zu hundert Prozent ausgelastete Autobahn ist nur noch ein Parkplatz. Unternehmen müssen also lernen, dass erfolgreiche Mitarbeiter auch Zeit und Freiraum brauchen. Sonst brennen sie aus. Es bringt nichts, wenn Menschen gezwungen sind, einen Sprint nach dem nächsten hinzulegen und ständig liefern müssen. Jedes Unternehmen braucht deshalb den gütlichen Handshake zwischen denjenigen, die etwas wollen und denjenigen, die etwas liefern müssen. Es gilt also Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Mitarbeiter Zeit haben, motiviert sind und nicht ständig fünf Projekte parallel bearbeiten müssen. Oft wird von Teams erwartet, dass sie den Mount Everest besteigen, sie erreichen aber unter den traditionellen Bedingungen höchstens die Zugspitze. Also besser alle Stakeholder mitnehmen und Erwartungen wie Anforderungen ins rechte Verhältnis setzen. Übrigens kann es eine Transformation ausbremsen, wenn man mit Macht auf agile Methoden setzt. Vor allem dann, wenn das organisatorische Umfeld für agile Arbeitsmodelle nicht vorbereitet ist. Manchmal sollte man dann besser einen hybriden Modus fahren und auf Konvergenz zwischen klassischen und agilen Modellen innerhalb einer Organisation achten. Wir leben nun einmal in einer Welt, die noch sehr stark von alten Ritualen geprägt ist. Auch das müssen wir anerkennen, wenn wir uns weiterentwickeln wollen.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf neue Arbeitswelten?
» So schrecklich die Pandemie ist, sie hat auch einen Boost für das Thema Digitalisierung gebracht und somit auch für das Thema New Work im weitesten Sinne. Gleichzeitig haben agile Methoden noch einmal einen kräftigen Schub erhalten. Wo allerdings früher ausschließlich auf Face-to-Face-Kommunikation gesetzt wurde, musste man zwangsläufig Alternativen finden. Dabei lernen wir derzeit, dass in unserer komplexen Welt vieles am besten durch intensive Zusammenarbeit funktioniert. Unabhängig davon, wo wir uns gerade befinden. Wir können nicht Einzelteile zusammenstöpseln und dann hoffen, dass das zum Erfolg führt. Stattdessen sollten wir uns permanent austauschen und eng kooperieren. Auch wenn wir es aktuell nicht real können. Die Digitalisierung bietet gute Alternativen. Es scheint ferner so zu sein, dass überall neue Wege ausprobiert werden. Sogar in Bereichen, in denen man das nicht zwangsläufig erwartet hätte. Das ist gut. Wir befinden uns in einer Lernphase und genau dieser fruchtbare Boden ist ideal für New-Work-Prozesse.
Was würden Sie kleineren Unternehmen raten, die in eine zukunftsfähige Arbeitswelt starten wollen?
» Habt Vertrauen in eure Mitarbeiter. Dezentralisiert Entscheidungen. Gebt den Mitarbeitern die Entscheidungsmacht in den Feldern, in denen sie Kompetenz haben und lasst los. Geht weg von Arbeitsstunden- Tracking, geht weg von Leistungsnachweisen. Achtet auf wertvollen „Outcome“. Dabei ist Kontrolle gut, Vertrauen aber besser.