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Eine Frage der Haltung

Dirk Tiemann ist Experte für Ressourcen- und Energieeffizienz
© Eva-Maria Tornette

Energie- und Ressourceneffizienz-Experte Dirk Tiemann über Potenziale und Chancen

Der Versorgungsingenieur (FH) und zertifizierte Energieberater arbeitete bereits für Energielieferanten, war im Energiehandel und Netzzugangsmanagement tätig. Dirk Tiemann ist Gründer der Seymour Energy GmbH, eines Mitglieds im Beratungsnetzwerk der DEnBAG – Deutsche Energie-Berater und -Auditoren Gesellschaft GmbH, Kooperationspartner der RegionalenEnergieagentur sowie der Niedersächsischen Energieagentur (KEAN). Dirk Tiemann ist neutraler Ansprechpartner für geförderte Beratungen, das Team begleitet komplexe Transformationsmaßnahmen – wie die Planung sowie den Bau und die Errichtung von (Energie-)Anlagen.

Was müssen Unternehmen bei der Energie-Thematik grundsätzlich bedenken?
Zunächst geht es um die Frage, wie hoch der Energiekostenanteil am Gesamtumsatz ist. Ein Betrieb mit viel Warenlogistik hat möglicherweise einen Energieeinsatz von ein bis zwei Prozent. Hingegen kann der Anteil bei Kunststoff verarbeitenden Betrieben bei bis zu zehn Prozent liegen. Hier liegt der Veränderungsdruck natürlich höher. Zukünftig wird es aber nicht mehr nur um bezahlbare Energien gehen, sondern auch um höhere Investitionen in neuartige Technik für die allgemeine Versorgung und Produktion. Dekarbonisierung und Einsparung von CO2 stehen hier im Fokus.

Neben der Einsparung ist zunehmend auch die Kenntnis der absoluten CO2-Emissionen wichtig. Hier zum Beispiel die Verpflichtung im Rahmen des Lieferkettengesetzes. Zuliefererer müssen unter bestimmten Bedingungen offenlegen, wie viel CO2 in dem Produkt steckt, das sie übergeben. Das betrifft nicht nur größere Unternehmen im Rahmen der Taxonomiebedingungen, sondern zukünftig auch kleinere Betriebe. Schließlich kann der CO2-Verbrauch sogar einen Einfluss auf Kredite und Versicherungskonditionen haben.

Um welche Herausforderungen geht es noch?
Die Energieeffizienz und die CO2-Neutralität sind die großen Herausforderungen. Es geht also um Energie- und Ressourceneffizienz. Die derzeit hohen Energiepreise und die damit verbundene Unsicherheit belasten Unternehmen wie Privatleute. Die Preis-Differenzen von einem zum anderen Anbieter sind nicht mehr allzu hoch. Wichtiger sind die vertraglichen Bedingungen und die Flexibilität, mit verschiedensten Börsenprodukten agieren zu können. Hierin liegt zukünftig der Unterschied der Lieferanten. Auf dem aktuell hohen Preisniveau ist es den Unternehmen wichtig, mit fixen Kosten für ihre Produkte kalkulieren zu können. Aktuell bekommt man von den Lieferanten aber keine verbindlichen Angebote. Die Betriebe reagieren daher eher kurzfristig und hoffen auf eine Beruhigung der Situation. Dennoch muss es im Energie- und Ressourcen-Bereich weitergehen. Und die Transformation sollte sich mittelfristig von fossilen Brennstoffen hin zu grünem Strom entwickeln – Dekarbonisierung.

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Wo liegen die größten Einspar­potenziale?
Unser Beratungsfokus liegt darauf, Energieverbrauch und Ineffizienzen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und vorhandene Energien intelligent auszuschöpfen. In den letzten Jahren haben sich die meisten Unternehmer hauptsächlich mit Beleuchtung, Druckluft, Heizung und Klimatisierung befasst. Besonders interessant ist aber die intelligente Wärmerückgewinnung aus bestehenden Systemen, um zum Beispiel mit einer Wärmepumpe Energie in den Verwaltungsbereich zu bringen. Unternehmen, die nach ISO 50001 im Energiemanagement zertifiziert sind, sind in der Regel auf einem guten Weg.

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Viele Unternehmer reagieren aber sehr skeptisch, sobald es an ihr Produkt geht. Diese Skepsis können wir entschärfen. Wir optimieren den Einsatz der Maschine, ohne dass sich das Produkt verschlechtert. Unsere Devise lautet: 100 Prozent Produktqualität bei minimalstem Energieverbrauch. Gerade bei alten Maschinen sind Einsparpotenziale im Energiebereich bis zu 30 Prozent möglich. Grundsätzlich gilt: Je älter ein Unternehmen ist und je weniger digitalisierte Arbeit und Maschinen es gibt, desto mehr Einsparpotenzial bietet sich.

Können Sie konkrete Beispiele ­nennen?
Nehmen wir beispielsweise einen Dienstleister aus dem Lebensmittelbereich, dessen Anlagen im 24-Stunden-Betrieb laufen. Dort empfehlen wir, die veraltete Lüftungs- und Klimaanlage für die Zukunft fit zu machen. Das beinhaltet neben neuen, effizienten Motoren auch eine intelligente Wärmerückgewinnung, sodass sich die Energiebilanz insgesamt verbessert. Und für Bürogebäude gilt generell, dass man die Raumtemperaturen und auch die Luftmenge nach und nach optimieren muss. Dafür müssen Steuerung und Hydraulik optimal eingestellt sein. Mein Tipp: Bringen Sie Ihre Heizkurve nach unten, experimentieren Sie dabei, indem sie sich langsam vom Kalten hin zu einer Temperatur tasten, mit der sich unter Sparsamkeitsaspekten gut leben lässt. Außerdem sollte man alte Heizkörper-Thermostate gegen programmierbare elektronische Ventile tauschen. Und sorgen Sie für regelmäßiges Stoßlüften, statt die Fenster permanent offen oder in Kippstellung zu lassen. Diese Tipps gelten natürlich auch für Privatleute und Menschen, die im Homeoffice arbeiten.

Wer die Temperaturen drosselt, spart je Grad ungefähr sechs bis sieben Prozent an Heizenergie. Wer zudem seine Heizung gewartet und den hydraulischen Abgleich sauber eingestellt hat, kann durchaus zusätzlich zehn Prozent Kosten einsparen. Übrigens sollte man die Klimaanlage nicht extrem herunterkühlen. Sechs Kelvin Temperaturdifferenz sind hier im Verhältnis zur Außentemperatur der Richtwert. Das tut der Umwelt und unserem Organismus gleichermaßen gut.

Wer sollte jetzt besonders schnell reagieren?
Vorrangig sind diejenigen besonders gefordert, deren Energiekosten eine nennenswerte Position im gesamten Kostenkonstrukt darstellen. Das heißt aber nicht, dass sich die anderen zurücklehnen sollen. Die Solidargemeinschaft aller Erdgas- und Energieverbraucher ist angesprochen, damit es für alle reicht und wir beim Klimaschutz vorankommen. Ich vertrete den Ansatz, dass der bewusste Umgang mit Energie und Ressourcen nicht immer eine Frage des Geldes ist, sondern vielmehr eine Frage der Haltung.

Was sollte im Bereich der Fördermittel beachtet werden?
Wir unterscheiden im gewerblichen Bereich zwischen Förderprogrammen für Produktionsanlagen und Nicht-Wohngebäude (z. B. Banken, Einzelhandel, …). Bei Letzteren geht es insbesondere um Erneuerung der Haustechnik – also Heizung, Klima, Lüftung. Hier sollten die Unternehmen für die geplante Umbaumaßnahme die voraussichtlichen Kosten inklusive Puffer kalkulieren und für diesen Betrag einen Antrag stellen. Danach können sie auf eigenes Risiko sofort starten. Für derartige Vorhaben benötigt man in der Regel einen gelisteten Energieeffizienz-Experten. Soll nur die Heizungstechnik erneuert werden, lässt sich das Projekt auch mit einem Fachunternehmen durchspielen. Bezüglich der Förderprogramme für die Produktion kann das Unternehmen den Antrag (je nach Fördermodul) mit oder ohne eingetragenen Energieberater stellen. Bei einzelnen Förder-Modulen muss die Förderzusage abgewartet werden, bevor mit der Beauftragung begonnen werden kann. Mein Tipp: Gerade ist ein ­Extra-Förderprogramm der BAFA aufgelegt worden, das Energieeffizienz und Klima-Neutralität kombiniert. Hier werden Beratungen und Aktivitäten mit 60 Prozent und maximal mit 80.000 Euro für KMU gefördert.

Mithilfe des Programms erhalten die Betriebe die Möglichkeit, ihre Energieeffizienz-Potenziale zu identifizieren und gleichzeitig einen CO2-Footprint zu erstellen. Und eine Initialberatung im Bereich der Energie- und Ressourceneffizienz bekommen Unternehmen mit 80 Prozent gefördert, jedoch mit maximal 6.000 Euro bezuschusst.

Was sind jetzt die dringendsten Schritte für Unternehmen?
Führungskräfte sollten unbedingt ihre Mitarbeiter sensibilisieren und mitnehmen. Jeder kann seinen Beitrag leisten. Verschaffen Sie sich mit einer geförderten Energieberatung einen Überblick über Effizienzmaßnahmen und Wirtschaftlichkeit. Auf kommunaler Ebene stehen Ihnen hier die Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen (KEAN) und die Niedersachsen Allianz für Nachhaltigkeit (NAN) mit Transformationsberatungen für KMU zu den Themen Klimaneutralität, Solar, Energie- und Materialeffizienz sowie betriebliches Mobilitätsmanagement kostenfrei zur Verfügung (mehr dazu auf Seite 17). Produzierenden Unternehmen steht die Energie- und Ressourceneffizienzberatung, das Energieaudit DIN EN 16247 offen, nicht produzierenden Unternehmen, die Gebäude unterhalten, empfehle ich die Energieberatung DIN V 18599. Somit erhalten Sie als KMU auf Bundesebene bis zu 80 Prozent Zuschüsse (max. 6.000 Euro für das Energieaudit DIN EN 16247 oder 8.000 Euro für die Energieberatung DIN V 18599) für einzelne Energieberatungen. Lassen Sie sich von einem gelisteten Energieberater unterstützen, damit Potenziale und Fördermittel voll ausgeschöpft werden können. Sie erfahren, wo sie konkret sparen können, was zu priorisieren ist, und können einen maßgeschneiderten Sanierungsfahrplan entwickeln. Natürlich alles step by step. Die Hauptsache ist, man macht sich auf den Weg.