Stadt + Entwicklung

Testfeld Niedersachsen

Das Zukunftslabor für automatisierte und vernetzte Mobilität

Mit dem Testfeld Niedersachsen werden Informationen aus realen Verkehrssituationen im großen Maßstab gewonnen, miteinander verknüpft und ausgewertet. Daraus lassen sich Funktionen für automatisierte und vernetzte Mobilität entwickeln oder verbessern. Als offene Forschungsplattform ist das Testfeld für wissenschaftliche Einrichtungen und industrielle Partner nutzbar. Über Chancen und Mehrwerte berichten Prof. Katharina Seifert, Direktorin des Instituts für Verkehrssystemtechnik vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), und Thomas Krause, Vorstand der Wolfsburg AG.

Das Testfeld existiert seit Januar 2020. Wie ist der Stand der Dinge?

Prof. Katharina Seifert
Prof. Katharina Seifert
© DLR

» Katharina Seifert: Wir arbeiten kontinuierlich daran, die eingesetzte Technik weiterzuentwickeln. Dazu sind wir über unseren Beirat von Anfang an mit den Projektpartnern und Unternehmen in einem transparenten Austausch, wie wir das Testfeld gestalten und sie es nutzen können. Trotz Corona sind inzwischen die ersten Kampagnen und größeren Tests gelaufen. Heute können wir den Unternehmungen, die auf das Testfeld Niedersachsen zugreifen möchten, die vielfältigsten Dienste anbieten. Diese reichen von technischen Ressourcen über Daten und Datenleitungen bis zur Unterstützung bei der Abwicklung von Genehmigungsvorgängen.

Mit welcher Zielsetzung erproben Sie zukünftige Technologien?

» Katharina Seifert: Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es unsere Vision, dass das intelligente Fahren der Zukunft höchst effizient ist und Ressourcen schont. Darüber hinaus haben wir das gesamte Thema der Verkehrssicherheit im Blick. Hier wollen wir dazu beitragen, dass sich die Zahl der Unfälle drastisch verringert. Was die technische Seite betrifft, haben wir den LANP-Standard (ITS-G5) als grundlegende Möglichkeit der Vernetzung in unser Testfeld implementiert. Inzwischen kooperieren wir mit dem 5G- Reallabor Braunschweig-Wolfsburg. Damit sind wir in der Lage, neue und möglicherweise bald sichtbare weitere nachhaltige Technologien zu erproben und anzubieten. Beste Voraussetzungen also für die Unternehmen vor Ort und für die, die nach Niedersachsen kommen, um unser gesamtes vitales Umfeld der Innovationen zu nutzen.

Wolfsburg ist Teil des Testfelds Niedersachsen. Wie läuft das Zusammenspiel mit hiesigen Testfeldern?

» Thomas Krause: Mit dem Anspruch eines wegweisenden Mobilitätsstandorts beschränken wir uns nicht auf vereinzelte Anwendungen, sondern betrachten die gesamte Kernstadt als Testfeld. In Verbindung mit der Initiative #WolfsburgDigital haben wir unser Testfeld Digitale Mobilität entwickelt. Gleichzeitig können wir durch die frühe Partnerschaft mit dem DLR neueste Technologien der Mobilität in Wolfsburg erproben. Dabei profitieren wir von der engen Anbindung an das große Testfeld Niedersachsen, welches das DLR im Auftrag des Landes durchführt. Diese riesige Forschungsanlage umfasst 280 Kilometer und integriert den Innenstadtring in Braunschweig genauso wie die A 2, die A 39 und die Heinrich-Nordhoff-Straße. Die Weiterführung bis zur Stadtmitte Wolfsburgs wurde möglich, weil wir die entsprechende Kommunikations- und Sensortechnik an zehn Ampelanlagen entlang der Heinrich-Nordhoff-Straße installiert haben. Der gesamte Prozess basiert auf der engen Partnerschaft zwischen Volkswagen und der Stadt Wolfsburg. Die Wolfsburg AG ist dafür koordinierend tätig.

Welche konkreten Mehrwerte ergeben sich daraus?

Thomas Krause
Thomas Krause
© Wolfsburg AG

» Thomas Krause: Wir wollen in den Testfeldern neue Mobilitätsinstrumente ausprobieren. Dazu gehört die Kommunikation zwischen Auto und Infrastruktur, wie Ampelanlagen. Wenn das Fahrzeug und der Fahrer beispielsweise frühzeitig Informationen zu Ampelphasen oder nahenden Einsatzfahrzeugen erhalten, kann das zum stressfreieren Fahren beitragen, Unfälle vermeiden und auch den CO2-Ausstoß vermindern. Gleiches gilt für ein anderes Szenario: das intelligente Parkplatzmanagement. Es soll die Parkplatzsuche vereinfachen und damit zusammenhängende Verkehre minimieren. Die Stadt Wolfsburg hat vor wenigen Wochen beschlossen, einen Parkplatz in der Stadtmitte mit entsprechender Sensortechnik auszurüsten.

Wer kann die offene Forschungs- und Entwicklungsplattform des Testfelds nutzen?

» Katharina Seifert: Wir sind mit einer Forschungslandschaft in Niedersachsen gesegnet, die uns viele Kooperationen ermöglicht. Gleichzeitig haben wir auch die Chance, mit den unterschiedlichsten Unternehmen zusammenzuarbeiten. In unserem aktuellen Beirat sind nicht nur die großen Namen, sondern auch kleinere Unternehmen vertreten. Wir können davon ausgehen, dass wir perspektivisch insbesondere im Bereich der digitalen Services vermehrt auch für junge Unternehmungen und Start-ups interessant sind. Diese werden dann in der Lage sein, sehr unkompliziert Zugang zu unseren Testinfrastrukturen zu haben, damit sie möglichst schnell ein erprobtes Produkt in den Markt bringen können. Wenn sich dabei eine vitale Szene entwickelt, kann das unsere Region enorm beleben.

» Thomas Krause: Je weiter die Großforschungsanlage ausgebaut wird –etwa mit dem Testfeld für Digitale Mobilität, der 5G-Modellregion Braunschweig-Wolfsburg, dem Fahrsicherheitszentrum des ADAC in Laatzen oder dem Messegelände in Hannover – wird diese Forschungsumgebung große wie kleine Unternehmen anziehen. Heute sind wir bereits hochkompetent im Bereich der anwendungsbezogenen Mobilität sowie im Bereich der Wissenschaft und Lehre. Im Gegensatz zu den riesigen Metropolen sind wir allerdings noch nicht das vorrangige Marktumfeld, das etwa Start-ups suchen, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Aber wir punkten zunehmend mit den umfangreichen und spannenden Reallaboren unserer einmaligen Mobilitätskompetenzregion sowie mit attraktiven Förderprogrammen.

Wie wird sich aus Ihrer Sicht das Testfeld weiterentwickeln?

» Thomas Krause: Zunächst einmal bin ich froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, ein derartig zukunftsweisendes Projekt in der Region zu verankern. Ich gehe fest davon aus, dass wir in Verbindung mit weiteren Programmen wie Modellprojekte Smart Cities Wolfsburg in der Lage sind, die digitale Mobilität in den Straßen Wolfsburgs zu verankern. Somit werden die Forschungsergebnisse nicht nur sichtbar in Form von Demonstrationen, sondern auch direkt erlebbar für Auto-, Radfahrer oder Fußgänger. Ich engagiere mich dafür, dass aus einer Testumgebung in naher Zukunft die digitale Mobilitätsstadt Wolfsburg wird. Wir streben also einen nahtlosen Übergang von der Erprobung in eine dauerhafte Anwendung an.

» Katharina Seifert: Auch wir folgen der Vision, dass wir die Test-Installation für bestimmte Funktionalitäten in eine dauerhafte Nutzung überführen können. Als DLR sind wir bestrebt, unsere Großanlagen permanent zu aktualisieren und die Weiterentwicklung der Technologien zu begleiten. Denkbar ist auch die organisatorische Einbindung in bestimmte nationale und internationale Systeme, um gemeinsam Standards und eine Art TÜV für diese neuen Technologien zu schaffen. Damit versetzen wir die deutsche Industrie weiterhin in die Lage, in globalisierten Märkten erfolgreich zu sein. So steigern wir zudem die Attraktivität unseres regionalen Standortes. Was ich ausdrücklich erwähnen möchte, ist die großartige partnerschaftliche Unterstützung durch die Städte Wolfsburg und Braunschweig. Sie hat es uns erst ermöglicht, wissenschaftliche Erkenntnisse in realen Umgebungen zu gewinnen. Dafür kann ich mich als Forscherin nur bedanken.


Titelbild: © Bild von Michael Knoll auf Pixabay