„Ziel ist es, in die Lebenswelt einer anderen Person einzutauschen.“
Moderatorin Victoria Reichelt über die Relevanz von Zuhören
Die gebürtige Wolfsburgerin, Journalistin und Moderatorin Victoria Reichelt weiß, warum Zuhören in der Gesellschaft und der Politik wichtig ist. In verschiedenen Formaten wie dem Podcast „Absolute Mehrheit“, dem Politik-Format „DIE DA OBEN!“ und ZDFheute live schafft sie Raum fürs Zuhören und Gehört-Werden. Im Gespräch mit Spitzenpolitikern diskutiert sie beispielsweise über gesellschaftliche Themen und lädt zu Gedankenexperimenten abseits der Norm ein. Auf ihren eigenen Social-Media-Kanälen verbindet sie aktuelle News und politische Themen mit Humor und einer Prise Sarkasmus. Die Wahlberlinerin ist der Ansicht, dass erst durch den gesellschaftlichen Diskurs aller Generationen verschiedene Lebensrealitäten wahrgenommen und verstanden werden können.
Welche Rolle spielt das Zuhören in deinem Job und deinen Formaten?
» In meinem Beruf als Journalistin ist Zuhören extrem wichtig. Wer nicht an anderen Menschen interessiert ist und nicht gern zuhört, ist in diesem Job falsch. In den Formaten hören wir Expertinnen und Experten, Politikerinnen und Politikern zu und setzen uns dafür ein, auch junge Menschen fürs Zuhören zu begeistern. Vor allem bei Themen, die vorerst langweilig und eintönig erscheinen, ist das sehr relevant. Wir engagieren uns aber auch dafür, dass vor allem junge Menschen laut werden, damit ihre Ansichten in der Politik und der Gesellschaft gehört werden können.
Warum ist es wichtig, anderen zuzuhören?
» Durch Zuhören finden wir gesellschaftlich wieder mehr zusammen, selbst wenn wir nicht einer Meinung mit unserem Gesprächspartner sind. Das Ziel ist es, ein Stück weit in die Lebenswelt der anderen Person einzutauchen und somit besser nachvollziehen zu können, warum diese wie denkt und handelt. Ich empfinde es immer als Gewinn, anderen zuzuhören – dafür muss ich ihnen nicht zustimmen. Dadurch lerne ich auch mich selbst noch einmal besser kennen.
Was bedeutet es für dich, eine gute Zuhörerin zu sein?
» Aus beruflicher Sicht bedeutet es, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und zu verstehen, dass es gerade nicht um mich geht. Je nachdem, in welcher Situation ich mich befinde, interveniere ich natürlich auch mal, aber generell stehen die Standpunkte der Gesprächspartner im Vordergrund. Auch in privaten Gesprächen achte ich darauf, mein Gegenüber ausreden zu lassen. Ich kenne aber auch den Impuls, sich selbst direkt offenbaren zu wollen und immer einen guten Ratschlag parat zu haben. Auch, wenn dieser gar nicht gewünscht wird. Manchmal geht es nur darum, dass sich jemand mitteilen möchte, ohne einen Lösungsvorschlag aufgedrückt zu bekommen. Wenn ich mir unsicher bin, frage ich nach, was mein Gegenüber gerade braucht, um Missverständnissen und Enttäuschungen vorzubeugen. Denn häufig setzen wir voraus, dass unser Gegenpart automatisch weiß, was wir von ihnen erwarten und was uns helfen würde. Vor allem, wenn man sich schon lange kennt. Ich bin der Meinung, dass nur so gut zugehört werden kann, wie sich mitgeteilt wird.
Zuhören wird häufig eher als passiv angesehen, während die „Performer“ aktiv wahrgenommen werden und im Kopf bleiben. Wird dem Skill heutzutage zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?
» Auf jeden Fall. Die generelle gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass Kommunikation zunehmend im Netz stattfindet. Im Onlinediskurs geht jedoch viel verloren, wir erleben beispielsweise die Gestik und Mimik der anderen Person nicht. Das führt häufig zu Missverständnissen, wie wir sie von Dialogen per Messenger kennen. Es geht in der digitalen Welt außerdem nur darum, sich selbst zu profilieren und seinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Es heißt zwar „Social“-Media, aber ein soziales Miteinander und eine Diskursbereitschaft sind oft gar nicht vorhanden, was dazu führt, dass wir ein Stück weit verlernen, auf den anderen einzugehen.
Wie können wir wieder sensibler für unser Gegenüber werden?
» Oft hören wir nicht richtig zu, weil wir selbst zum Zug kommen wollen. Schon während der andere noch spricht, sind wir gedanklich dabei, unseren eigenen Standpunkt klarzumachen, um ihn danach direkt zu vertreten. Vor allem während Debatten ist das oft der Fall. Ich glaube, es kann helfen, sich klar zu machen, dass die andere Person ein ebenso komplexes Leben hat wie ich selbst. Dass die jeweiligen Meinungen, Perspektiven und Taten ihren Ursprung haben, ob wir diese nun für sinnvoll halten oder nicht. Für mich ist es beispielsweise auch selbstverständlich, offen für Weiterentwicklung und neue Ansichten zu sein und das sollten wir unserem Gegenpart auch zugestehen.
Generell ist es wichtig, dass wir uns allen wieder mehr zuhören. Falls man „wieder“ sagen kann, ich weiß nicht, ob es jemals anders war. Dabei müssen wir auch beachten, dass kein vorurteilsbehafteter Generationskampf aufgemacht wird, in dem beispielsweise die GEN Z von den Baby-Boomern missverstanden wird und andersherum. Wenn wir die Komplexität und die Realität der jeweiligen Personen mit einbeziehen, können wir ihre Seite besser nachvollziehen. Das gilt für alle Generationen, auch Kinder und Jugendliche sind Teil der Gesellschaftspolitik und ich habe nicht das Gefühl, dass ihnen momentan gut zugehört wird.
Titelfoto: Victoria Reichelt © Klaus Weddig