Top-Thema

Aktives Zuhören als Erfolgsfaktor?


Führungskräfte aufgepasst

Wenn du sprichst, wiederholst du nur, was du ohnehin schon weißt. Wenn du aber zuhörst, kannst du unter Umständen etwas Neues lernen“, heißt es schon in einem Sprichwort des Dalai Lama. Und dennoch haben Menschen Schwierigkeiten, wirklich zuzuhören, ohne darauf zu warten, endlich selbst das Wort ergreifen zu können. Führungskräfte, High-Performer und „Macher“ in Spitzenpositionen sind eher selten für ihre Qualität als gute Zuhörer bekannt. Dabei ist das aktive Zuhören eine unterschätzte Kompetenz, die tatsächlich mehr Energie erfordert als das Sprechen.

Die Kunst des Zuhörens

Dass viele Menschen lieber reden als zuzuhören könnte unter anderem daran liegen, dass Sprechen weniger anstrengend ist. Aus Studien von Neurowissenschaftlern der Universität Harvard geht hervor, dass beim Sprechen die gleichen Areale im Gehirn aktiviert werden wie bei existenziellen Dingen wie Nahrung und Geld. Es fühlt sich also für uns befriedigend an, eine Unterhaltung zu dominieren. Zuhören hingegen fordert uns mental heraus und zieht Energie, anstatt sie zu geben. Es werden verschiedene kognitive Prozesse in Gang gesetzt: Die Aufmerksamkeitssteuerung ermöglicht es uns, den Fokus zu behalten und andere Themen auszublenden. Indem das Gehörte strukturiert wird, ohne es direkt zu bewerten und zu interpretieren, kann ausgemacht werden, an welchen Stellen Klärungsbedarf besteht. Wer gut zuhören kann, kann am Ende auch einen wertvollen Beitrag zum Dialog leisten. Je intensiver der Zuhörer auf sein Gegenüber eingeht, desto an-strengender wird das Gehirnjogging.

Zufriedenheit macht erfolgreich

Es ist wissenschaftlich bewiesen, wie positiv sich das Gefühl, gehört zu werden, nicht nur privat, sondern auch im Businesskontext auswirkt. Das „Psychological Safety-Konzept“ von Amy Edmondson, Professorin für Leadership und Management besagt, dass sich Mitarbeiter in ihrer Position vor allem sicher fühlen, wenn andere ihnen zuhören, ihre Anliegen ernst nehmen und ein Diskurs entsteht. Laut Edmondsons Erkenntnissen wirkt sich der vermeintlich selbstverständliche Kommunikationsskill auch erheblich auf die psychische Gesundheit aus: So sei nicht der Stresspegel im Job an sich, sondern der fehlende Austausch darüber für zahlreiche Burn-outs verantwortlich.

Die selbstständige Marketing- und Kommunikationsexpertin Christine Sehle sieht Zuhören unter anderem als gegenseitige Wertschätzung der anderen Persönlichkeit. „Es bedeutet auch, dass man sich Zeit für den anderen nimmt, seine Meinung wahrnimmt und in den Dialog tritt. Für Arbeitnehmer ist es eine Anerkennung ihrer Kompetenz, für Arbeitgeber sollte es selbstverständlich sein. So können sie erkennen, ob sich Mitarbeiter wohlfühlen, unter- oder überfordert sind. Und das ist Basis für die interne und auch externe geschäftliche Weiterentwicklung“, erläutert sie.

Christine Sehle © Taylor-Photography
Christine Sehle © Taylor-Photography

Dass zufriedene Beschäftigte bessere Ergebnisse im Job liefern, ist kein Geheimnis. Schon lange ist es kein reiner Akt der Nächstenliebe, für das Wohlergehen des Teams im Unternehmen zu sorgen, sondern wirtschaftlich relevant. Aus einer aktuellen Studie der Universität Oxford geht hervor, dass neben Flexibilität der Arbeitszeit und ausreichend personellen Ressourcen auch der Führungsstil, das Feedback zur Arbeitsleistung und Wertschätzung zur Zufriedenheit im Unternehmen beitragen. Und wer kann sich schon geschätzt fühlen, wenn die Ohren des Teams und der Führungskräfte dauerhaft auf Durchzug gestellt sind? 

Das persönliche Glück des Mitarbeiters ist übrigens auch das der Firmenrentabilität: Unternehmen, in denen zufriedene Mitarbeiter tätig sind, sind laut Ministerium für Glück und Wohlbefinden 20 % erfolgreicher als andere.

Christine Sehle erinnert sich an ihre Zeit in Anstellung und sieht die Verantwortung des Hörens und Gehört- Werdens auf beiden Seiten: „Wenn ich an meine letzte Angestelltenzeit denke, wäre meine Kündigung sicher aus diesem Grund nicht erfolgt. Es gab weitere, doch dieser Punkt gehörte wesentlich dazu. Allerdings müssen Arbeitnehmer auch für sich selbst eintreten können, damit man ihnen zuhören kann. Das ‚offene Ohr‘ seitens der Arbeitgeber sollte keine leere Worthülse sein, sondern zur gelebten Unternehmenskultur gehören“, beschreibt sie.

Welcher Zuhörer sind Sie?

Die von Autor Anthony Alessandra in vier Arten eingeteilten Zuhörertypen haben wir vermutlich alle schon einmal getroffen: Den ersten bezeichnet er als den „Weghörer“. Dieser ist vorrangig an Kommunikation auf Sachebene interessiert und hat grundsätzlich Probleme damit, sich anderen Menschen zuzuwenden, was auf andere abweisend und desinteressiert wirken kann.

Der „selektive Zuhörer“ lauscht den Äußerungen seines Gegenübers oberflächlich, ohne in die Tiefe zu gehen oder Details wahrzunehmen. Ihre Gedanken schweifen schnell ab, sie stellen keine Fragen und versetzen sich nicht in ihren Gesprächspartner hinein. 

Der dritte Typ wird als „bewertender Zuhörer“ betitelt. Er hört zwar zu, aber vorrangig, um danach mit einer schlagkräftigen Antwort zu glänzen, denn er nimmt Informationen nicht vorurteilsfrei auf, sondern bewertet sie innerlich direkt. 

Zuhören während eine Meetings
© Prostock-studio-stock.adobe.com

Der vierte ist der, den sich die meisten Menschen wohl wünschen – der „aktive Zuhörer“. Er schenkt seinem Gegenüber die volle Aufmerksamkeit und richtet seinen Fokus auf das Gesagte, anstatt gedanklich woanders zu sein oder sich bereits eine Antwort zurechtzulegen. Er nimmt nicht nur Worte auf, sondern achtet auch auf die Tonlage und Körpersprache des Gegenparts. Mit Fragen versucht er, besser verstehen und sich in den anderen hineinversetzen zu können. Die Informationen werden oft sehr lange behalten und können für zwischenmenschliche Beziehungen immer wieder relevant werden. Die aktiven Zuhörer sind beliebt und ihre sozialen und beruflichen Kontakte profitieren von ihrer Art und Weise.

Wenn Sie sich jetzt dabei erwischt haben, nicht immer der beste Gesprächspartner zu sein: keine Sorge. Die meisten Menschen sind weder dem einen noch dem anderen Typus zuzuordnen. Oftmals herrscht eine Tendenz vor, je nach Situation und Gesprächspartner kann das Verhalten im Gespräch jedoch variieren. Das aktive Zuhören lohnt sich immer, wenn das Ziel ist, den anderen besser zu verstehen und auch selbst verstanden werden zu können. Dass der Wunsch nach wertschätzender Kommunikation groß ist, zeigt eine Befragung der Akademie für Führungskräfte. Aus dieser geht hervor, dass
99 % der befragten Arbeitnehmer aktives Zuhören für sehr relevant halten, jedoch nur 16 % ihren Vorgesetzten als guten Zuhörer bezeichnen würden. 

Woran liegt das? Christine Sehle sieht den Ursprung des Problems in einer fehlerhaften Definition einer Führungskraft und plädiert für eine frühe Auseinandersetzung mit dem Thema: „In Führung zu gehen, heißt sicher für einige immer noch, die Macht zu haben und somit das Recht auf der eigenen Seite. Ich muss es als Führungskraft wollen, mich zu öffnen. Im Grunde sollten es Kinder ab dem Grundschulalter lernen, wie man ‚richtig‘ miteinander umgeht. Das wird auch praktiziert, doch was ist mit den weiterführenden Schulen? Vielleicht sollte das ‚Diskutieren lernen‛ ein Pflichtfach werden“, gibt sie zu bedenken.

Gibt es Hoffnung?

Die gute Nachricht ist, dass Zuhören erlernt werden kann, auch wenn es Übung erfordert. Dieser Meinung ist Stefanie Dudek, die in ihrem Coaching im Rahmen ihres Unternehmens „gedanken-schubser“ häufig mit Kommunikationsschwierigkeiten konfrontiert wird. 

„Kommunikation ist extrem wichtig für den Wohlfühlfaktor in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch in Unternehmen. Wertschätzung und Kommunikation sind sehr eng miteinander verwoben und jeder Mensch und Mitarbeitende möchte sich geschätzt fühlen. Ist dies im Unternehmen nicht gegeben, schauen sich qualifizierte Fachkräfte anderweitig um, gerade in Zeiten des Personalmangels“, weiß Dudek. Die Absolventin der angewandten Psychologie ist davon überzeugt, dass jeder Mensch lernen kann zuzuhören. Wie gut dies gelingt, sei Übungssache: Es fordere Bewusstsein und Achtsamkeit, den Geist wieder zurückzuholen, wenn man im Gespräch gedanklich abschweift. Interesse am Gegenüber ist laut Dudek die Voraussetzung für achtsames Zuhören. Auch Eigeninitiative, sich verändern zu wollen, Selbstreflexion und die Spiegelung des Umfelds seien wichtige Faktoren. Mithilfe von emotionaler Intelligenz könne die Fähigkeit, sich voll und ganz in sein Gegenüber hineinzuversetzen, gefördert werden. Diese helfe dabei zu erkennen, was der andere braucht. Manchmal reiche es, nur zuzuhören oder den anderen mit einer Geste zu unterstützen, wie beispielsweise eine Hand auf den Arm zu legen.

Und was tun, wenn wirklich keine Zeit und Energie vorhanden ist, sich auf sein Gegenüber einzulassen? „Wenn ich gerade keine Zeit habe, verschiebe ich das Gespräch und kann beispielsweise sagen: Ich komme bei dir vorbei, wenn ich dir meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken kann. So fühlt sich mein Gegenüber nicht abgewiesen“, beschreibt Dudek.

Es lohnt sich also, Muster zu durchbrechen und seinem Gegenüber die volle Aufmerksamkeit und somit Wertschätzung entgegenzubringen – denn diese erwarten wir schließlich auch, wenn wir uns mitteilen möchten.


© JLco-Julia Amaral-stock.adobe.com