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Potenziale ausschöpfen

Mitarbeiter und ­Führungskräfte ­langfristig binden

Elke Riechert ist seit zwölf ­Jahren als strategische Unternehmensberaterin im Personalbereich selbstständig. Zuvor war sie über 20 Jahre in leitender Funktion im Personalwesen tätig. Sie ist unter anderem stellvertretendes Mitglied Arbeitgebervertreter im Prüfungsausschuss der Personalfachkaufleute (IHK Lüneburg-Wolfsburg). Für die Expertin handelt es sich beim Thema Fachkräftebedarf um kein Phänomen, das man losgelöst von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen denken kann. Das habe auch die Pandemie gezeigt. Nicht nur im Gesundheitsbereich sei noch deutlicher geworden, was nicht funktioniert. Corona habe die Menschen dazu gedrängt, sich auch in Bezug auf die Arbeitswelt mit grundsätzlichen Fragen neu auseinanderzusetzen.

Was genau machen Sie als strategische Unternehmensberaterin?
Ich unterstütze KMU aus Produktion, Handwerk, Handel und Dienstleistung in den Bereichen der Personal- und Organisationsentwicklung. Mit dem demografischen Wandel und der Digitalisierung, mit veränderten Märkten, sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ändern sich auch die Anforderungen an die Personalstrategie. Mit meiner Hilfe klären Unternehmen ihre Personalstrategie und definieren Ziele und Maßnahmen der Personalpolitik. Dazu rede ich sehr viel mit allen Beteiligten, nutze aber auch ein Potenzialanalyse-Tool, das zum Beispiel Motive sowie Kompetenzen aufdeckt und Bewerbungsprozesse unterstützt. Meine Philosophie ist es, die Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens zu fördern, um sie langfristig zu binden. Auch auf diese Weise sichern sich Betriebe die besten Köpfe.


Sie sind zertifizierte Beraterin für das Förderprogramm „unternehmensWert:Mensch“. Inwiefern können Unternehmen von diesem Programm profitieren?
Im Bereich der Personal- und Unternehmensentwicklung können KMU trotz finanzieller Engpässe eine professionelle Beratung über neun Monate in Anspruch nehmen. Das Programm wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds getragen und beteiligt sich an den Beratungskosten in Höhe von 50 bis 80 Prozent. Ab einem sozialversicherten Beschäftigten bis maximal 249 Mitarbeitern ist eine Förderung möglich. Das Programm muss bis zum 31. Mai 2022 beantragt und die Beratung bis Ende 2022 abgeschlossen werden.

Elke Riechert erklärt ein Schaubild zu Veränderungsprozessen und auf was Führungskräfte achten müssen.
© Markus Hoefemann

Welche großen Trends sehen Sie im Personalwesen?
Wenig überraschend natürlich die Digitalisierung mit all ihren Chancen und Herausforderungen. Durch Corona hat das Thema eine neue Dynamik entwickelt. Daneben wird das Image eines Unternehmens immer wichtiger. Statt auf Positionen bewerben sich Menschen zunehmend auf Unternehmenskulturen. Dabei ist die Macht des Internets nicht zu unterschätzen. Internetportale sind wichtige Parameter für Bewerber. In einem immer stärker werdenden Arbeitnehmermarkt sind Wechsel vorprogrammiert. Und wer wechseln oder sich bewerben will, schaut vorher bei Kununu nach und checkt die Bewertungen des potenziellen Arbeitgebers. Auch Xing und ­LinkedIn sind dankbare Quellen. Insgesamt bieten soziale Medien sowohl Bewerbern als auch Unternehmen wertvolle Einblicke und Anknüpfungspunkte. Der Fachkräftemangel, der perspektivisch noch zunehmen wird, wenn immer mehr Babyboomer in Rente gehen, erhöht den Druck für Unternehmen, neue Instrumente der Mitarbeiterbindung zu kreieren. Förderung und lebenslanges Lernen sind nur zwei Aspekte, die dabei eine Rolle spielen.

Sie sagen, dass darüber hinaus die Ansprüche der Mitarbeiter und die Qualität von Führung immer mehr in den Vordergrund rücken.
Absolut. Denn Studien belegen, dass Mitarbeiter das Unternehmen hauptsächlich verlassen, weil sie mit ihren Vorgesetzten nicht klarkommen und weil ihnen eine gute Unternehmenskultur fehlt. Potenzielle Bewerber hinterfragen immer häufiger den Sinn ihrer künftigen Tätigkeit. Die Erwartungshaltung der jungen Arbeitnehmergeneration hat sich grundlegend verändert. Vertrauen, Zugehörigkeit, Zusammenarbeit – das sind Werte, die geteilt werden. In diesem Zusammenhang tritt zunehmend das eigenverantwortliche Handeln und Entscheiden des Mitarbeiters an die Stelle der vertrauten hierarchischen Systeme. Deshalb sollten Führungskräfte sich zu Coaches und Vorreitern entwickeln. Das ist die vielleicht eklatanteste Herausforderung für die Unternehmen und kein Thema, das sich auf Knopfdruck ändern lässt. Last but not least nimmt die Trennschärfe zwischen Privat- und Arbeitsleben ab, zumal das Homeoffice in vielen Unternehmen auch langfristig an Bedeutung gewinnt.

Was macht ein Unternehmen überhaupt attraktiv?
Es sind vielfältige Faktoren, die sich gegenseitig bedingen. Dazu zählen ein gelebtes Leitbild, ein gutes Betriebsklima und ein wertschätzender Umgang – auch zwischen den Generationen. Dazu kommt die Möglichkeit, sich als Mitarbeiter einzubringen. Gerade junge Leute wollen eingebunden werden und in Teams und Projekten arbeiten, die durch Vielfalt geprägt sind. Sie schätzen eine offene Kultur, flache Hierarchien und ein attraktives Arbeitsumfeld. Ferner muss ein zukunftsfähiges Unternehmen unbedingt die Möglichkeit des lebenslangen Lernens fördern, um alle Potenziale in den eigenen Reihen auszuschöpfen. Außerdem sieht ein attraktiver Arbeitgeber den Menschen nicht nur als reine Arbeitskraft, sondern berücksichtigt auch dessen Umfeld. Er sorgt für faire Konditionen, bietet flexible Arbeitszeitmodelle und eine positive Fehlerkultur. Ein agiles Unternehmen nimmt auch die zahlreichen Querverbindungen zu allen relevanten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Themen wahr. Schließlich empfehle ich Unternehmen, mit einer aussagekräftigen Website sichtbar und auf angesagten Social-Media-Kanälen unterwegs zu sein.

Elke Riechert ist strategische Unternehmensberaterin und Coach für Führungskräfte.
© Markus Hoefemann

Was empfehlen Sie Unternehmen, um sich im Kampf um Fachkräfte besser zu positionieren?
Zunächst einmal, die Probleme im eigenen Unternehmen anzupacken. Die größte Herausforderung sind Kommunikationsprobleme und Konflikte zwischen den Hierarchien. Dazu kommen Führungskräfte, die überhaupt keine Personalverantwortung übernehmen möchten und Mitarbeiter, die sich nicht wertgeschätzt fühlen. Also müssen alle Beteiligten ins Gespräch kommen und wenn nötig auch Prozesse hinterfragt und verändert werden. Ich empfehle vor allem, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ganz gleich, ob Männer, Frauen oder Menschen aus anderen Kulturen, Personen mit Handicap: Sie alle sollten voll inte­griert werden. Es liegt an den Führungskräften, welche Haltung hier gelebt wird. Ein weiterer Punkt: Jüngere und ältere Mitarbeitende müssen voneinander lernen können. Dafür muss die Führung ebenso die Voraussetzungen schaffen wie für die Entwicklung der Mitarbeiter. Diese sollten ihre eigene Entwicklung mitgestalten können. Das bringt sie ebenso weiter wie das Unternehmen. Hier sind Eigenverantwortung und Kollaboration gefragt. Das heißt auch: Raus aus den Silos, über den Tellerrand schauen, sich vernetzen, kooperativer projekt- und zielorientierter arbeiten. Und für die Besetzung von Tätigkeiten gilt: Weg von der klassischen Stellenbeschreibung, hin zu einer aussagekräftigen Rollenbeschreibung. Diese wird sich dann auch an Quereinsteiger richten, die sich weiterentwickeln wollen. Insgesamt müssen wir alle lernen, Veränderungen zu akzeptieren, denn sie sind unsere ständigen Begleiter. Ganz gleich, ob in der Arbeitswelt oder im privaten Bereich. Viele Unternehmer wissen um die Notwendigkeit von Veränderungen, scheuen aber den ersten Schritt. Da wünschte ich mir mehr Mut. +


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