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„Mehr Mut zum Unternehmertum“

Nachfolgemoderator Kai Lührs von der IHK Lüneburg-Wolfsburg über die Entwicklung in der Unternehmensnachfolge

Um Unternehmer sowie potenzielle Nachfolger zu unterstützen, stehen die Experten der Handwerkskammer, Allianz für die Region, IHK und WMG den Beteiligten im gesamten Übergabeprozess beratend zur Seite. Neben der Beratung werden auch Plattformen zur Vernetzung geschaffen, die Übergebende und Übernehmende zusammenbringen. „Wir sind das Parship für Unternehmen“, erzählt Nachfolgemoderator und ausgebildeter Coach Kai Lührs von der IHK Lüneburg-Wolfsburg, der selbst Nachfolger war und seine Expertise aus zehn Jahren als Unternehmer weitergibt. Nach der Erstberatung erstellt er einen individuellen Fahrplan und begleitet bei Bedarf den gesamten Prozess bis zur Preisverhandlung, Übergabe und darüber hinaus. Der Berater hilft mit seiner Moderationsfunktion dabei, Raum für emotionale Aspekte zu schaffen und Erwartungen offenzulegen.
Wie sich die Unternehmensnachfolge entwickelt hat, welche Probleme ihm im Alltag begegnen und wie seine Zukunftsprognose für Unternehmen in der Handwerksbranche ausfällt, verrät er im Interview.

» Früher konnte sich der Verkäufer aus mehreren Bewerbern einen Käufer aussuchen. Mittlerweile ist es genau andersrum: Statistisch gesehen kann sich ein Käufer heute zwischen fünf Unternehmen entscheiden. Die geringe Nachfrage hängt damit zusammen, dass Unternehmertum in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eher negativ besetzt ist und wenig vorgelebt wird. Hinzu kommt, dass Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt viel Auswahl haben und ein geregeltes Arbeitsleben mit pünktlichem Feierabend dem unternehmerischen Risiko vorziehen. Auch die Lebenswahrnehmung der jungen Menschen hat sich verändert, was sich in der priorisierten Work-Life-Balance und Konzepten wie der Vier-Tage-Woche zeigt. In Familienbetrieben kommt hinzu, dass die Kinder heutzutage mehr Freiheiten haben und ihr Werdegang nicht von vornherein festgelegt ist.

» Unternehmen können familienintern, unternehmensintern an Mitarbeitende oder an einen externen Kandidaten weitergegeben werden. Es gibt auch Investoren, die ihren bestehenden Betrieb erweitern und überregionale Synergien erzeugen wollen. Im Handwerk kristallisiert sich durch den Fachkräftemangel auch der Trend heraus, ein Unternehmen wegen der Mitarbeitenden zu kaufen. Wir unterstützen dabei, einen geeigneten Nachfolger zu finden und vertreten auch die Interessen des potenziellen Käufers. Damit Verkäufer und Nachfolger sich überhaupt erst einmal finden, organisieren wir Netzwerktreffen und machen zudem auf Plattformen wie „nexxtchange“ aufmerksam, die als Börsen für Verkäufer und Käufer fungieren.

» Das rechtzeitige Kümmern um die Nachfolge ist häufig ein großes Problem. Erfahrungsgemäß sollten Unternehmer mit 55 Jahren anfangen, darüber nachzudenken, da der Prozess zwischen einem bis fünf Jahre dauern kann. Das Unternehmen muss ‚übernahmefit‘ gemacht werden. Das betrifft das Geschäftsmodell, die Mitarbeitenden und Aspekte wie Nachhaltigkeit im Betrieb. Zur richtigen Zeit loslassen können, ist ein großes Thema, da es um Lebenswerke geht, für die die Menschen lange gearbeitet haben und an denen sie natürlich hängen. Nicht nur die Firma, sondern auch die Übergebenden müssen sich auf ihren neuen Lebensabschnitt vorbereiten, weswegen ich immer nachhake, wie der Plan für die Zukunft des Ex-Chefs aussieht: Was hat er oder sie jetzt mit der vielen Freizeit vor? Sind keine neuen Aufgaben und Lebensinhalte in Aussicht, fällt das Loslassen schwerer.
Auf der Seite der Übernehmenden ist die Finanzierung häufig ein Thema – auch hier stehen wir beratend zur Seite und zeigen verschiedene Möglichkeiten auf. Hinzu kommen emotionale Aspekte und Erwartungshaltungen, die vor allem bei familieninternen Übernahmen häufig eine große Rolle spielen

» Bei einer ‚One Million Dollar‘-Geschäftsidee und sicherer Finanzierung macht eine Neugründung Sinn, aber das ist sehr individuell. Bei einem Start-up ist die wichtigste Frage: Wie finde ich Abnehmer für mein Produkt oder meine Leistung? Zu Unternehmerkompetenzen gehört nicht nur die fachliche Expertise, sondern auch Themen wie Buchhaltung, Mitarbeiterführung, Vertrieb. Am Anfang sind viele Bereiche selbst zu manage
In den nächsten fünf Jahren werden mindestens 125.000 Familienbetriebe im Handwerk Nachfolger suchen. Wie stufen Sie die Zukunft der Branche ein?
Durch die gesellschaftlichen Veränderungen ist es für Unternehmen wichtiger als je zuvor, sich attraktiv am Markt zu positionieren. Im Handwerk ist die Nachfrage auf Kundenseite hoch, die Auswahl an Fachkräften und Nachfolgern jedoch klein. Die Betriebe haben eine Zukunft, wenn sie es schaffen, nicht nur für Kunden, sondern auch für Personal ansprechend zu bleiben. Dafür können Benefits wie Dienstwagen, Firmenkleidung oder auch neue Perspektiven wie die Vier-Tage-Woche ausschlaggebend sein.

» Wir brauchen eine andere Wahrnehmung im Land, die den Fokus auf die Attraktivität der Selbstverwirklichung in der Selbstständigkeit legt und nicht auf die Angst vorm Scheitern.
Wir müssen von Beginn an mehr darüber lernen, wie Wirtschaft funktioniert und auch in der Politik den Fokus nicht nur auf die gehypte Start-up-Szene, sondern auch auf die Vorzüge der Nachfolge legen. Mehr Mut zum Unternehmertum!


© Andreas Tamme