Gastronomie im Wandel
Stützen sich Gastronomie und Innenstädte gegenseitig?
Die Gastronomie hat durch die Coronapandemie einen schweren Schlag erlitten. Wie es mittlerweile um die Branche steht, haben wir den Professor für Humangeographie der Universität Osnabrück, Martin Franz, gefragt. Er erforscht, wie große gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche – zum Beispiel der wirtschaftliche Strukturwandel, die Digitalisierung, Globalisierungsprozesse und Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit – Menschen, Unternehmen und Institutionen beeinflussen. Im Mai war Martin Franz beim Innenstadt-Dialog der WMG in Wolfsburg zu Gast.
Wie haben sich die Erwartungen und Vorlieben der Gäste in den letzten Jahren verändert und wie passen Gastronomiebetriebe ihre Angebote und Konzepte an diese neuen Anforderungen an?
» Das Publikum von Gastronomiebetrieben hat zunehmende Ansprüche an Angebotsbreite, -tiefe und -qualität. Betriebe, die in den 1990er-Jahren noch mit einem Angebot aus zwei Biersorten, zwei Weinen und ein paar Softdrinks auskamen, bieten heute acht Sorten Bier, sechs Weine und eine Cocktail- und Longdrink-Karte. Wo sich früher Kneipen auf den Ausschank von Getränken konzentrierten, müssen sie heute auch Speisen anbieten. Restaurants haben vegetarische und vegane Speisen in das Angebot aufgenommen. Auch die Anforderungen an Platzangebot und Raumgestaltung haben sich verändert. In einer Kneipe durfte es früher ruhig eng und voll sein – heute drehen viele am Eingang wieder um, wenn sie sehen, dass es keinen Sitzplatz mehr gibt. Viele Betriebe haben eher einen Cafécharakter bekommen – mit Loungemöbeln und viel Platz. Insgesamt sind die Anforderungen an die Unternehmen erheblich gewachsen. Viele Unternehmen, die sich nicht anpassen konnten – zum Beispiel, weil ihre Küche oder ihre Betriebsfläche insgesamt zu klein war – oder wollten, haben aufgegeben.
Nachhaltigkeit ist ein zunehmend wichtiges Thema, auch im Bereich der Ernährung. Wie sehen Sie die Umsetzung von nachhaltigen Praktiken in der Gastronomie und welche Herausforderungen gibt es dabei?
» Unsere Befragungen zeigen, dass die Energiekrise vielfach zu nachhaltigeren Praktiken geführt hat, weil Betriebe energieeffizienter wurden. Beim Angebot der Speisen und Getränke hat sich nur bei einem Teil der Konsumierenden die Nachfrage geändert: Es gibt Konsumierende, die gezielt nach nachhaltigen Angeboten suchen und auf die sich manche Betriebskonzepte spezialisiert haben. Gleichzeitig gibt es aber auch große Bereiche der Gastronomie, in denen das Thema Nachhaltigkeit noch kaum bespielt wird und die trotzdem ausreichend Publikum finden. Ohne vegetarisches und veganes Angebot wird es aber in Zukunft kaum noch gehen: Fleischfreie Ernährung ist im Mainstream angekommen. Die Notwendigkeit, diese Nachfrage zu erfüllen, stellt sicher viele Betreibe vor Herausforderungen.
Inwiefern hat Corona die Branche langfristig verändert?
» Schon vor der Pandemie unterlag die Gastronomie einem stetigen Wandel, den nicht alle Betriebe mitgehen konnten. Gastronomie ist vielfach aus der Fläche verschwunden und hat sich an zentralen Standorten konzentriert. Die getränkeorientierte Gastronomie hat vorher schon an Bedeutung verloren, die Systemgastronomie an Bedeutung gewonnen. Covid-19 hat als Katalysator für diese Entwicklungen gewirkt. Viele Betriebe sahen sich während der Pandemie und auch jetzt noch in ihrer Existenz bedroht. Unsere Untersuchungen zeigen aber auch: Es gibt einen großen Teil der Betriebe, die sogar gestärkt aus den Krisen der letzten Jahre hervorgegangen sind. Es ist besonders spannend, der Frage nachzugehen, warum das so ist.
Titelfoto: Martin Franz beim Innenstadt-Dialog der WMG © WMG Wolfsburg
Warum ist die Gastronomie so wichtig für die Innenstädte?
» Gastronomie ist für das Image und die Attraktivität von Städten zentral. Insbesondere in Zeiten, in denen der stationäre Einzelhandel an Bedeutung für die Entscheidung zum Besuch einer Stadt oder eines Quartiers an Bedeutung verliert, steigt die diesbezügliche relative Bedeutung der Gastronomie. Gaststätten und insbesondere Außengastronomie kann die – im Zusammenhang mit der Attraktivität von Innenstädten viel beschworene – Aufenthaltsqualität steigern.
Sie waren am 15. Mai zu Gast beim Innenstadtdialog der WMG. Wie wichtig ist dieser Austausch unter den einzelnen Akteuren?
» Sehr wichtig. In der Vergangenheit ist vielerorts das Gespräch mit der Gastronomiebranche vernachlässigt worden. Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass Betriebe, die im Austausch mit anderen Betrieben, aber auch mit den Kommunen stehen, besser durch die Krise gekommen sind. Austausch ist die Grundlage für ein Lernen voneinander, ein gegenseitiges Verstehen und die Entwicklung von innovativen Lösungen.
Viele Innenstädte stehen vor Herausforderungen wie hohe Mieten oder Konkurrenz durch Lieferdienste. Wie können Gastronomen in diesem Umfeld einen Mehrwert schaffen, der Kunden dazu bewegt, persönlich zu erscheinen?
» Da gibt es sicherlich nicht die eine Lösung für alle. Manchmal ist es die Aufenthaltsqualität, manchmal die Qualität der Speisen, ein anderes Mal einfach die Persönlichkeit des Wirts oder der Wirtin – im Idealfall kommt alles zusammen. Grundsätzlich braucht der gute Gastronomiebetrieb eigentlich die Innenstadt nicht, aber die Innenstadt braucht ihn.
Wie lautet Ihre Prognose für die städtische Gastronomie?
» Die Bedeutung der städtischen Gastronomie für die Innenstadtentwicklung wird weiter zunehmen. Dabei ist die Gastronomie aber nicht das Allheilmittel für schwächelnde Innenstädte. Kommunen sollten versuchen, Einfluss auf die Gastronomieentwicklung zu nehmen, damit die Potenziale genutzt werden können. Ideen und Konzepte dazu sind bereits vorhanden.